€ 22.00

ISBN 978-3-903460-18-8
180 Seiten
Hardcover
2. Auflage: Broschur

Claus Oistric

Als der Vorhang fiel

„Wien, du tote Stadt“ – dieser legendäre Spruch beschreibt treffend
das graue, verschnarchte Wien, das Anfang der 1980er-Jahre noch sein tristes Dasein als Außenposten Westeuropas fristete. Durch den Fall des Eisernen Vorhangs rückte es ins Zentrum und konnte sich zu einer europäischen Metropole mausern. Diese Entwicklung ist auch an der hiesigen Punkszene nicht spurlos vorbeigegangen.

Das Buch unternimmt einen Streifzug durch die Geschichte von Punk in Wien. Nach einem kurzen Rückblick auf die ersten beiden Wellen Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre wird besonderes Augenmerk auf die Zeit gelegt, als nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Welt in Wien in Bewegung geriet und die Stadt in Schwung kam. Zum ersten Mal entstand eine Art von subkultureller Infrastruktur,
die sich auch rasch auf das Umland ausbreitete. Mit EKH, Chelsea oder Flex gab es nun Orte, an denen regelmäßig Punkkonzerte stattfi nden konnten. Informationen über die Szene erhielt man in selbstgemachten Fanzines und neue Musik wurde durch das Tauschen von Kassetten verbreitet. Schließlich lösten GREEN DAY und OFFSPRING Mitte der 90er-Jahre einen internationalen Punkrock-
Boom aus, der auch in Wien seinen Niederschlag fand. Bands wie KULTA DIMENTIA, TARGET OF DEMAND, EXTREM, BLOODY MARY, PROGRAMM C, DIE BÖSLINGE u. v. m. kommen ebenso zu Wort wie Menschen, die mit Fanzines, Konzerten und Labels die Szene aktiv mitgestalteten.

Das Buch versteht sich nicht als Chronik, sondern als geschichtlicher
Einblick in eine Welt von gestern, als man sich Punk noch ohne Internet aneignen musste. Eine Liebeserklärung an Punk in Wien und all die Menschen, die Punk in dieser seltsamen Stadt prägten.

Punkrock kommt mit Abrissbirne: Die Geschichte des Wiener Punk in Buchform

Autor Claus Oistric erzählt im Oral-history-Band "Bevor der Vorhang fiel" von den wilden Jahren des Wiener Undergrounds

Es beginnt mit dem Anfang. Wie eines der ikonischen Fotos aus dem Wien der späten 1970er-Jahre zeigt, ging es damals auf dem von Wolfgang Ambros besungenen Zentralfriedhof tatsächlich lustiger zu als in der Innenstadt. Auf der Lederjacke eines über den Naschmarkt schlurfenden Punks prangt da die Aufschrift "Wien du tote Stadt".
Es gab für die jungen Leute keine gescheiten Lokale – und das Betreten der öffentlichen Grünflächen in den Parks als Möglichkeit, sich zu treffen, war tatsächlich verboten! Nach der Besetzung der Arena 1976 als autonomes Kulturzentrum war die dortige Führungsriege bald heillos zerstritten, und nichts passierte, schon gar nicht Konzerte.

Punk ist das große Anti

1979 kam es im Burggarten zu Randalen mit der Polizei. Die Kronen Zeitung befeuerte die Polizeibrutalität mit der Unterstellung, dort würden sie nicht nur Rauschgift essen. Nein, auch Sexorgien und das Abkrageln der armen Enten im Burg-Teich seien an der Tagesordnung! Punk als großes Anti musste zwangsläufig den Mittelfinger gegen das System recken. Nix mehr mit Kuscheln und Hippies.

Allerdings wohnt im Punk der Geist, der stets alles verneint. Chuzpe machten sich ebenfalls 1979 im Song Beislanarchie über eine linke Schickeria lustig, die nach 1968 mittlerweile im Rathaus saß: "Arbeiterklasse, wie ich sie hasse / 's Proletariat, es scheißt auf uns / Was wir auch tun, s' sind immun / Rot is nua mei Nosn wurn."

Von dieser Ausgangslage aus berichtet Autor Claus Oistric in seinem Buch Als der Vorhang fiel. Es trägt den nicht ganz korrekten Untertitel Punk im Wien der 90er. Immerhin lässt Oistric im Stil der Oral History alte Veteraninnen der Punkszene bis herauf in die 1990er-Jahre auch von den damaligen Anfängen berichten. Die Bands der ersten Welle nannten sich Chuzpe, Mordbuben AG, Die Böslinge oder Pöbel. Was von Männern gern vergessen wird: Mit A-Gen 53 oder den Piranhas gab es auch reine Frauenbands.

Frauen wie die heutige Modemacherin Susa Kreuzberger waren später auch im von Punks besetzten und 1988 brutal geräumten und abgerissenen Haus in der Ägidigasse in Mariahilf aktiv. Kreuzberger im Buch: "Nach der Räumung waren wir zuerst zwei Wochen in Haft und dann eine Zeitlang auf der Straße. Teilweise haben wir in Parks geschlafen. Es war uns wichtig, gesehen zu werden, um auf uns aufmerksam zu machen, und einige hatten tatsächlich keine Möglichkeit, sonst wo unterzukommen."

Es folgten ab 1990 das erste Flex in Meidling und bald darauf das Ernst-Kirchweger-Haus in Favoriten. Wiener Bands wie Extrem oder Target of Demand und Stand to Fall aus Linz erweiterten dort wie da - oder auch im alten Chelsea in der Josefstadt - das schmale Spektrum des ersten Punk-Jahrgangs von 1977 um mehr Härte und auch politische Inhalte. Die Stadtpolitik war mittlerweile etwas milder gestimmt, und die besonders wilden Männer wie auch die Exekutive konnten sich jährlich immerhin noch bei den ziemlich argen Opernballdemos austoben.

Das Flex sollte Mitte der 1990er-Jahre unter anderem wegen dauernder Wickel mit Nazi-Skins in einem Nachbarlokal nach jahrelangen Verzögerungen (unter anderem durch eine legendäre "Pelzmanteldemonstration" von noblen Innenstadtbewohnerinnen im Bürgermeisterzimmer von Helmut Zilk) an den Donaukanal umziehen und langsam die Gitarren gegen Plattenspieler für Techno und Indie-Pop eintauschen. Zuvor war allerdings noch die härtere Gangart mit qualmenden Verstärkern angesagt.

Bands wie Those Who Survived The Plague, Target of Demand, Fuckhead oder Maische spielten im alten Flex in einer unabgedichteten Lagerhalle aus Holz auf. Vor behördlichen Begehungen wurde im vorderen Barbereich des Flex der Eingang in den "Konzertsaal" zur Sicherheit mit einem Kasten versperrt. Es konnten dort jedenfalls heimische Bands auftreten, die den engen Punkbegriff und auch die ganze Szene stilistisch wie personell erweiterten.

Punk hilft der Wirtschaft

Diese und andere Geschichten lässt Claus Oistric seine über 20 Protagonistinnen erzählen. Wir erfahren auch, was es mit den Punk-Achsen Innsbruck–Wien und Wien–Linz auf sich hatte, wie die allererste österreichische Punkband geheißen hat und woher sie stammte (Vorarlberg!). Auch dass die Stadionband Green Day 1991 vor nur 25 Leuten im Flex rockte, ist nachzulesen.

Punk hilft auch der Wirtschaft. Szeneaktivist Markus "Mäcks" Henschl: "Heutzutage wirbt der Wiener Tourismusverband auf der ganzen Welt mit dem Flex, und davor waren wir die Arschlöcher. Wenn man bedenkt, wie wenige Leute wir eigentlich waren und wie viel Infrastruktur durch die Punkszene aufgebaut wurde, ist das eigentlich beachtlich."

Der Standard, 5.10.2023, Christian Schachinger

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