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Buchreihen
Revisited Band 16
301 Seiten, Hardcover mit Leseband
Mit einem Nachwort von Dr. David Axmann
€ 24.90
ISBN 978-3-902950-123
Als E-Book in allen einschlägigen Stores erhältlich.
Hier bin ich, mein Vater
Otto Maier, Barpianist und österreichischer Jude, gerät in die Fänge der Gestapo. Er verpflichtet sich zu Spitzeldiensten, um seinen Vater aus dem KZ freizubekommen – ein zum Scheitern verdammter Konflikt zwischen Gewissen und Macht, den er, als Einzelner, nicht lösen kann.
Der stärkste Roman Torbergs – endlich wiederentdeckt.
Der „Held“ dieses Romans, Otto Maier gerät in die Fänge der Gestapo. Der zuständige Gestapobeamte Franz Macholdt, ein ehemaliger Schulkamerad von Otto, versucht ihn zu Spitzeldiensten zu erpressen, indem er ihm für den Fall seiner Mitarbeit die Freilassung seines Vaters aus dem KZ verspricht. 1939, kurz vor Ausbruch des Krieges, schreibt Otto Maier in einer Pariser Gefängniszelle seine Geschichte nieder, beginnend mit seiner Kindheit.
Ottos Verhältnis zum Vater pendelt zwischen Liebe, Verehrung und Sich-unverstanden-Fühlen hin und her, der vernunftorientierte Vater und sein künstlerisch-kreativer Sohn geraten oft aneinander. Otto will Pianist werden, der Vater ist einverstanden, trotzdem hat Otto ein schlechtes Gewissen. Als der Vater von der Gestapo abgeholt wird, fühlt Otto sich verantwortlich und lässt sich – unter Zugzwang – auf den Spitzeldienst ein.
Der Roman endet mit einem Gespräch Ottos mit seinem Religionslehrer, in dem es um alles geht: den Versuch, Rechenschaft abzulegen über den Verrat an seinen Freunden – und sein Scheitern; und den Versuch, sich Klarheit zu verschaffen über den verzweifelten Irrweg, den Otto in einer aus den Fugen geratenen Zeit gegangen ist.
Der Roman entstand in Torbergs amerikanischer Exilzeit und erschien erstmals 1948. 1970 wurde er von Ludwig Cremer verfilmt, in den Hauptrollen: Peter Vogel, Erika Pluhar, Helmut Lohner.
Unter den Menschen, die mich auf meinem Weg entscheidend beeinflußt haben, steht mein Vater weit obenan. Ich könnte sogar sagen: mein Vater ist schuld daran, daß ich hier sitze. Aber dann muß ich sofort hinzufügen, daß seine Schuld eine vollkommen unbeabsichtigte und unbewußte war. Mein Vater – das ist mir heute klarer als je zuvor – hat immer nur das Beste für mich gewollt. Ihm zuzutrauen, daß er seinem einzigen Sohn planvoll etwas Böses zugefügt hätte, wäre einfach grotesk. Er hat ja überhaupt niemals und gegen niemanden Böses geplant. Hingegen hat er sehr viel Gutes geplant und sehr viel Gutes getan. Denn mein Vater war ein guter Mensch – ich kann es nicht anders ausdrücken, wie farblos und nichtssagend es auch klingen mag. Mein Vater war gut, wie andre Menschen blond sind oder Frühaufsteher oder Bulgaren. Es war ihm ganz selbstverständlich, gut zu sein, und er sah es ungern, wenn man daraus ein Wesens machte, ja wenn man es nur bemerkte. Geschah das dennoch, so wurde er auf eine rührende Weise verlegen und nahezu verstört – vollends vor den direkten Lobpreisungen und Dankesbezeugungen, denen er in seinem Beruf als Arzt immer wieder ausgesetzt war und die immer zu gleichen Teilen dem guten Menschen wie dem guten Arzt galten. Vielleicht hat mein Vater allen Ernstes der alten Spruchweisheit nachgelebt, daß nur ein guter Mensch auch ein guter Arzt sein kann.
Die einzige Erinnerung, die ich in diesem Zusammenhang besitze, stammt aus meinem sechsten Lebensjahr. Im Winter 1915, dem zweiten Kriegswinter, verließ mein Vater das Wiener Militärspital, wo er bis
dahin Dienst gemacht hatte, und ging an die Front. Man gab ihm eine Abschiedsfeier, und unter den Geschenken, die ich dann auf dem runden, stämmigen Tisch im Erker unsres Salons liegen sah, erweckte ein zusammengerolltes, wie eine Urkunde verschnürtes Papier meine besondere Neugier. Aber erst am Abend, beim Kofferpacken, rollte mein Vater es auf, um es meiner Mutter zu zeigen. Rasch schlich ich mich hinzu. Es war wirklich eine Art Urkunde, offenbar in Gedichtform, und in großen, kunstvoll verschnörkelten Lettern geschrieben. Die Unterschrift lautete: »Herrn Oberstabsarzt Dr. Joseph Maier – die Verwundeten von Zimmer VIII.« Das Gedicht selbst – vielleicht ein Zitat, vielleicht eigens zu diesem Anlaß verfaßt – ist mir nicht mehr erinnerlich, bis auf die eine Zeile: »Denn ein guter Mensch verläßt uns heute«. Auf diese Zeile deutete mein Vater und sagte, halb zu meiner Mutter gewendet, mit beengter Stimme: »Ein guter Mensch. Das möchte ich gerne sein.«
Ob mein Vater freiwillig ins Feld gegangen ist oder ob er bloß gegen seine Abberufung nichts unternommen hat, weiß ich nicht genau und habe es nie erfahren, weil er nie die Rede darauf brachte. Nur an jenem Abend kam es noch zu einem Gespräch zwischen ihm und einem Bruder meiner Mutter, auch er in Uniform und kurz vor seinem Abgang an die Front. Das Gespräch, in dessen ganzem Verlauf meine Mutter stumm vor sich hinblickte, drehte sich darum, ob es richtig und notwendig wäre, daß mein Vater ins Feld ginge. Es war ein sehr pausenreiches Gespräch, von dem ich wenig begriff. Und nach einer besonders langen Pause sagte mein Onkel: »Ich versteh dich nicht, Pepi. Ich muß. Aber du? Bei deiner Stellung? Bei deiner Beliebtheit? Du kannst dir doch helfen!« Mein Vater sah ihn an, mit dem gleichen Lächeln und Kopfschütteln, das er sonst für meine Kinderstreiche hatte, und auch in seiner Stimme lag die gleiche, sanfte Zurechtweisung: »Aber man wird doch Arzt, um den andern zu helfen – nicht sich?«
Als ich am nächsten Tag erwachte, war er schon fort. Das machte indessen keinen besonderen Eindruck auf mich, und ich sah dem Kommenden ohne Bangigkeit entgegen. Da mein Vater seit Kriegsausbruch die meiste Zeit im Spital verbracht hatte, war er mir ohnehin nur selten zu Gesicht gekommen – jetzt würde ich ihn eben eine Zeitlang gar nicht sehen, und das wäre wohl kein großer Unterschied, das wäre wohl nicht so schlimm. Anfangs war es auch gar nicht schlimm. Es war sogar sehr interessant. Ich fühlte mich an einer wichtigen Neuerung beteiligt, und ich kam mir entsprechend wichtig vor.
An einem dieser ersten Tage, auf eine kleine Ungezogenheit hin, rief meine Mutter mich heran und sah mir lange ins Gesicht. »Du mußt dich jetzt immer sehr anständig benehmen, Otto«, sagte sie. »Wie ein Erwachsener, weißt du. Du bist jetzt der einzige Mann im Haus.« Das entsprach durchaus meiner eigenen Auffassung, und ich nahm ihre Worte sehr ernst – allzu ernst, wie sich zeigte. Einige Tage später nämlich, als ich mich bei einem Klingelsignal zufällig in der Nähe des Telephons
befand, hob ich den Hörer ab und antwortete der Stimme, die Herrn Doktor Maier zu sprechen wünschte: »Mein Vater ist nicht da. Ich bin der einzige Mann im Haus.« Auf irgendwelchen Wegen kam das zu meiner Mutter zurück und wurde alsbald als Anekdote herumgeboten – zur pünktlichen Heiterkeit der Erwachsenen, gegen die ich bei dieser Gelegenheit den ersten Verdacht faßte, daß sie nicht alles so meinten, wie sie es sagten.
Es dauerte nicht lange, bis die Abwesenheit meines Vaters den Reiz der Neuheit verlor und ich nach ihm zu fragen begann. Aber da meine Mutter mir stets die gleichen unbestimmten Antworten gab, zu denen ich seit der Geschichte mit dem »einzigen Mann« auch gar kein rechtes Zutrauen mehr hatte, hörte ich bald wieder zu fragen auf. Hingegen ertappte ich mich immer öfters bei der Betrachtung von Gegenständen, die mich an meinen Vater erinnerten. Auch schlenderte ich so oft wie möglich durch die leerstehenden, kalt riechenden Ordinationsräume, ja selbst das Türschild »MUDr. Joseph Maier, Ordinationsstunden 2-4«
bekam allmählich Sinn und Bedeutung für mich. Und einmal setzte ich mich sogar in den Fauteuil, der ihm allein vorbehalten war und in dem ich noch nie jemand andern hatte sitzen sehen.
Anfang April erkrankte ich an einer leichten Influenza. Natürlich schickte mich meine Mutter sofort ins Bett – denn bei allem, was im entferntesten als Keim einer Krankheit bewertet werden konnte, beim leisesten Husten, bei der geringsten Appetitlosigkeit, war seit jeher das Bett die erste und unabweisbare Folge gewesen. Als zweites pflegte sodann mein Vater sich mit mir zu beschäftigen und entschied, was da vorläge und was da zu tun wäre. Auf diese Untersuchungen wartete ich immer in einer sonderbar freudigen Erregung. Mir war fast feierlich zumut dabei, und die Stimme meines Vaters klang immer sehr bedeutungsvoll, auch wenn die Diagnose am Schluß lautete, daß es nicht so gefährlich wäre und daß ich am nächsten Tag wieder aufstehen könnte. Manchmal wandte er sich auch noch ausdrücklich zu meiner Mutter: »Das war sehr gut, daß du den Jungen sofort ins Bett gesteckt hast; da wird er wenigstens morgen wieder ganz gesund sein.« Daß er damit nur auf taktvolle Weise ihre Übertriebenheit feststellen wollte, ist mir erst in späteren Jahren klargeworden. Damals nahm ich alles für bare Münze, damals wurde ich am nächsten Tag gesund, weil mein Vater es so sagte, und sagte er es nicht, dann wurde ich auch nicht gesund. Immer, selbst bei längeren Erkrankungen, hatte meine Krankheit für mich weniger Wirklichkeit als das, was mein Vater sagte und tat. Wenn er mir seinen Kopf auf die Brust legte, so hörte er nicht mein Herz oder meine Lungen ab, sondern er lockte magisch die Schmerzen aus meinem Innern hervor und hinweg. Sein naher Körpergeruch umfing mich mit so wohliger Kraft, daß ich all meine Schwäche darin vergehen fühlte. Und erst seine Hände – was ging nicht alles von seinen Händen aus! Sie waren kühl, wenn ich Fieber hatte, sie wärmten mich, wenn ein Schüttelfrost mich überkam, sie linderten und brachten zur Reife, sie taten immer das, und das genau, was mir gut tat. Es waren Wunderhände, und ich liebte sie über alles, ich nahm jede Gelegenheit wahr, um mein Gesicht zwischen sie zu schmiegen – sogar beim »Gehen mit seinen Füßen«, dem zauberhaftesten Vergnügen, das ich kannte: ich stellte mich ihm derart auf die Schuhe, daß seine Schritte mich mitnahmen, und aufregenderweise ging ich rückwärts.
Nach den Händen meines Vaters verlangte es mich am heftigsten auch jetzt, als ich – dem mütterlichen Geheiß folgend – reglos im Bett lag und unter der Einwirkung zweier Tabletten zu schwitzen begann. Ich wollte, daß mein Vater käme, um mir mit seinen Händen den Schweiß abzutrocknen, um mir die Hand auf die Stirn, die Hand auf den Puls zu legen. Ich sehnte mich nach ihm, nach seinem Kopf an meiner Brust, nach seiner Stimme. Es war eine wilde, herrische Sehnsucht. Ich wußte nicht mehr, oder weigerte mich zu wissen, warum er nicht hier war, warum er überhaupt weggegangen war – jetzt müßte er doch schon zurückkommen, ich brauchte ihn doch, ich war doch krank. Warum kam er nicht? Wo war er? Was hatte es für einen Sinn, daß er sich noch immer nicht zeigte? Ich wollte nicht länger Verstecken spielen. Ich wollte meinen Vater, ich rief nach ihm, ich schluchzte nach ihm, und ich wollte nicht gesund werden, wenn er nicht käme.
Ich wurde natürlich gesund; es dauerte bloß etwas länger als üblich. Und mein Vater kam natürlich nicht; es kam der Medizinalrat Munk, mit dem er befreundet war und von dem meine Mutter sich anscheinend besonderen Effekt auf mich versprach. Sie erreichte das Gegenteil. Ich lag mit zusammengepreßten Lippen, atmete weder tief ein noch langsam aus und antwortete auf keine der an mich gerichteten Fragen. Doktor Munk stellte kopfschüttelnd fest, daß er den kleinen Otto, der doch immer so ein artiger und vernünftiger Junge gewesen sei, gar nicht wiedererkenne – was jedoch ebensowenig verfing wie seine endliche Drohung, meinem Vater Bericht zu erstatten. Erst der Vorhalt meiner Mutter, daß ein junger Mann meines Alters sich doch nicht wie ein kleines Kind
benehmen dürfe, brachte mich zum Reden: ich fragte höhnisch, wieso ich denn auf einmal wieder ein Mann wäre (das »jung«, unterschlug ich). Und da ich mein Schweigen nun schon gebrochen hatte, erteilte ich dann auch die gewünschten Auskünfte. Als aber Dr. Munk mir beim Abschied
anerkennend die Wangen tätscheln wollte, entzog ich mich ihm mit dem scharfen Hinweis, daß es sich nicht gehört, einen Mann zu zwicken. Doktor Munk lachte, meine Mutter lachte, und ich hätte schwören mögen, daß sie ihm draußen im Vorzimmer die Geschichte vom »einzigen Mann im Haus« erzählte.
Mit ‘Hier bin ich, mein Vater’ gelang Friedrich Torberg ein Zeugnis wider unsere Zeit, unter dessen gewollter Nüchternheit die stärksten Erregungen sich ballen. Es scheint fast müßig, bei einem so aufwühlenden Buch auf Einzelheiten hinweisen zu wollen.
Neue Zürcher Zeitung
Er gilt als Friedrich Torbergs vielleicht bester Roman: "Hier bin ich, mein Vater" erzählt von einem
moralischen Dilemma, auf das sich kaum eine Antwort finden lässt: Ist dei böse Tat durch die gute Absicht zu rechtfertigen?
Barbara Mader, Kurier
Das Buch ist (...)bemerkenswert, als es sehr früh bereits das Problem jüdischer Kollaboration mit den Nazis behandelt, ohne die Täter-Opfer-Trennung und damit die moralische Gebrauchsanweisung gleich mitzuliefern.
Peter Zimmermann, Ex Libris Ö1