„In der Nacht sind alle Sorgen groß und besonders schwer. Und man glaubt, dass sie nicht zu ertragen sind. Aber morgen ist alles anders. Nichts kann schlimmer werden, morgen – morgen ist alles besser.“ Kaum ist dieser Satz gesprochen, beginnt Toni Hubers Radiokarriere in Wien. Das Leben der jungen Wienerin bietet aber noch mehr Überraschungen.
Toni Huber macht grad Matura, als ihr Vater, ein ehemaliger Rittmeister und auch ehemalig reicher Adeliger eine starke Grippe erleidet und im Krankenhaus verstirbt. Seine Tochter kann es nicht fassen, die Mutter ist schon lange tot und Toni hat nun niemanden mehr, der liebevoll für sie sorgt. Sie muss zur einzigen Verwandten, der strengen Tante Florentine, ziehen und ist unglücklich.
Da bietet sich die Gelegenheit für eine Anstellung. Im Rundfunksender des Landes (RAVAG) soll sie als Tippmamsell beschäftigt werden. Als ein Zugunglück passiert und der Radiosprecher verhindert ist, springt Toni ein und spricht die letzten Worte, die täglich vor Sendeschluss ins Mikro gesagt werden, in den Äther: Dank eines Geistesblitzes ändert sie den Text ein wenig. Bald darauf ist schon die Hölle los. Viele Zuhörer haben dem Sender geschrieben, alle wollen wissen, zu wem diese neue, bezaubernde Stimme gehört, sofort steckt die Begeisterung auch die ansonst trägen Chefitäten an: Toni muss befördert werden, Toni muss viel mehr Gehalt bekommen, alle haben immer schon gewusst, was in ihr steckt.
Tonis Wandlung beginnt. Und es dauert nicht lange, da wird auch die Männerwelt auf sie aufmerksam …
Der dritte Roman von Annemarie Selinko, der bei Milena erscheint. Das Buch erschien erstmals 1938.
Morgen ist alles besser erschien 1938 und wurde 1948 von Arthur Maria Rabenalt mit Ellen Schwanneke, Jakob Tiedtke, Grethe Weiser, Paul Klinger und Rudolf Prack verfilmt.
Das ist Tonis Wohnung im Himmel. Der Himmel: Hochhaus in der Herrengasse, Stiege sieben, achter Stock.
Das Hochhaus ist „der" Wolkenkratzer von Wien. Vorn und hinten gibt es graue, alte Palais mit Wappen über weiten, vornehm geschwungenen Barockportalen. Und schmale Gassen, in denen der Autolärm dröhnt. Zwischen diesen Barockpalästen haben sie das Hochhaus aufgestellt. Einen riesigen hellen Asphaltkasten, wie es sich für unsere Zeit gehört. Das Hochhaus hat einen breiten, viereckigen Turm, 15 Stockwerke hoch, mit einem Restaurant, die übrigen Trakte haben acht bis zwölf Stockwerke, und auf Stiege sieben im achten Stock liegen die Junggesellenwohnungen. Immer ein Zimmer mit Baderaum und einer breiten Glastür, die auf den Balkon führt.
Nur ein kleines Fräulein? "Morgen ist alles besser" von Annemarie Selinko
Der Milena-Verlag, bekannt für bunte Gegenwartsliteratur, holt in seiner Klassiker-Reihe immer wieder beinahe vergessene Autorinnen und Autoren vor den Vorhang. Eine dieser Schriftstellerinnen ist Annemarie Selinko. Die Österreicherin (1914-1986) schrieb zahlreiche Bestseller, welche in den Nachkriegsjahren auch erfolgreich verfilmt wurden. Nach "Heute heiratet mein Mann" und "Ich war ein hässliches Mädchen" bringt Milena nun "Morgen ist alles besser" heraus, erstmals erschienen 1938 als zweiter Roman der Autorin.
Das Thema ist typisch für die Frauen-Unterhaltungsliteratur der 1930er bis 50er Jahre: Ein junges Mädchen wandelt sich vom unscheinbaren Entlein zum prachtvollen Schwan. Anfangs ein schüchternes Waisenkind, ist Toni Huber am Schluss wohlhabend und verlobt. Auch in dieser Geschichte verdankt die Protagonistin ihren Erfolg mehr dem Zufall als ihren Fähigkeiten. Allerdings - und das hebt Selinkos Romane von anderen dieses Genres ab - beginnt die junge Frau im Lauf der Ereignisse, die Strukturen zu durchschauen, und entwickelt in der Folge gewitzte Strategien, um sich in der Männerwelt nachhaltig durchzusetzen.
Toni Huber ist ein kleines Fräulein mit einem kleinen Stimmchen, kleinen Träumen und einem kleinen Gesichtchen. Nur die Augen sind riesengroß. Der aus der Perspektive Tonis geschriebene Roman beschreibt ihre Gedanken sehr detailliert, und es sind kindliche Gedanken von erschreckender Naivität, aber auch von schnörkelloser Direktheit.
Toni macht also Karriere beim Radio. Besser gesagt, stolpert sie in ihre Karriere hinein. Nach der geschenkten Matura und dem Zufallsjob tapst die kleine Person durchs Leben und gerät dabei - von Männern herumgeschubst - von einem Sprungbrett auf das nächste. Per Zufall landet Toni vor dem Mikrofon der Radioanstalt, wo sie eigentlich nur naiv vor sich hinplappert. Doch ihr kleines Stimmchen rührt die Menschen, und so wird Toni eben berühmt.
Sagt Toni etwas Kluges, ist ihr das doch nur rausgerutscht. Verhandelt sie knallhart, dann nur, weil sie das Einstellungsgespräch für ein Spiel hält. Doch während die junge Frau mit dem Verstand hintennach hüpft, wird sie tatsächlich erwachsen. Sie erkennt, dass es Männer zum Verlieben gibt und andere zum Heiraten, und Geld zu haben ist auch kein Schaden.
Beim Lesen des durchaus als Unterhaltungsroman konzipierten Buchs muss man allerdings schon Durchhaltevermögen beweisen und fest an die sozialkritischen Absichten der Autorin glauben. (Selinko war im Widerstand gegen die Nazis.) Die Bezeichnung "klein" wird leider inflationär gebraucht: "Was will der mächtige Herr Rat von dem kleinen hinausgeworfenen Schreibmaschinenfräulein Huber?", denkt die kleine Toni und versteht wieder einmal gar nichts. Derartige romantische Verniedlichungen sind freilich der damaligen Zeit geschuldet und entsprechend zu verzeihen.
Mag ihre Protagonistin auch bloß ein "kleines Fräulein" sein, so ist Selinko hingegen eine der ganz Großen, was ihren sprachlichen Ausdruck betrifft: Knapp und präzise sind da manche Szenen, etwa die im Spital, in der das junge Mädchen, von den Ärzten grade so geduldet, am Sterbebett des Vaters sitzt. Atemberaubend ist das, brutal. Man will der jungen Frau auf die Schulter klopfen - mitleidsvoll in den Arm nehmen mag man sie jedoch nicht.
Denn die Toni kommt schon zurecht, auf ihre ganz spezielle Weise. Und weil sie alles andere als bescheiden ist, wird sie auf ihrem Weg sicher auch das Attribut "klein" zurücklassen.
Wiener Zeitung, Elisabeth Freundlinger, 12.6.2021
Doderer hätte es nicht besser gekonnt: „LAUFENDE MASCHEN VON Seidenstrümpfen sind unaufhaltsam wie der Lauf des Schicksals.“ Annemarie Selinkos Roman „Morgen ist alles besser“, der mit diesem Satz beginnt, spielt nicht nur in derselben Zeit wie die üppigen Panoramen des Großmeisters gedrechselter Satzkaskaden; anders als der große Heimito wählt Annemarie Selinko aber das leichte Genre und erzielt einen ähnlichen Effekt. Literatur mag das ernsthafteste Mittel sein, um die Welt als Ganzes zu erfassen; zu ergänzen wäre; so ernst aber wiederum auch nicht, um nicht gelegentlich zu lachen. Bekanntlich sind Komödie nicht nur lustig, selbst das Märchen vom Aschenputtel kommt nicht ohne Düsternis und Unglück aus. So auch hier.
Dass die aus einer assimiliert-jüdischen Wiener Unternehmerfamilie stammende Autorin, nach einigen Semestern Studium und Arbeit als Journalistin über die Fingerfertigkeit verfügte, große Gegenstände als literarisch leichte Kost zu verpacken, hatte sie mit dreiundzwanzig bewiesen. Ihr Romandebüt „Ich war ein hässliches Entlein“ wurde zum Bestseller. Überkommene Geschlechterrollen mit Witz, Verve und Selbstironie zu überwinden, ist auch das Thema von „Morgen ist alles besser“. Eine Frau entscheidet selbst über ihr Leben – keine Selbstverständlichkeit im Österreich I der Zwischenkriegszeit. Allein das Erscheinungsjahr des Buches - 1938 - war nicht gerade günstig, der Story mit Happy End zum Publikums-Erfolg zu verhelfen; die Nazibarbarei hatte auch hierzulande begonnen. Annemarie Selinko, mittlerweile mit einem dänischen Diplomaten verheiratet, lebte damals im Ausland und später im schwedischen Exil. Dem Milena-Verlag verdanken wir, dass nach „Ich war ein hässliches Entlein“ und „Morgen heirate ich meinen Ehemann“ jetzt auch ihr dritter Roman wieder vorliegt.
Wir befinden uns in der Welt vor der großen Katastrophe: Wien in den 1930er Jahren, Lateinstunde in einer achten Klasse Gymnasium. Bedrohlich ist im Moment nur der Blick der Lateinprofessorin Mikula auf die Schülerin in der letzten Bankreihe Antonia Toni Huber, die gerade mit ihrem Seidenstrumpf-Schicksal kämpft: mit dem altbewährten Hausmittel Spucke versucht sie eine laufende Strumpfmasche aufzuhalten. Aber – so heißt es weiter - da rückt schon die Mikula, das Lateinekel, auf Toni los. „Vielleicht übersetzt die Huber weiter“, „Nun, wird`s bald Huber?“ Toni erbleicht, stammelt, verhört sich, was ihr gerade eingesagt wird - anstatt „Aeneas umschiffte die Küste“ übersetzt sie „Aeneas schiffte in einer Kiste“. Gekicher, die Mädchenklasse lacht. Allerdings - die Situation ist so harmlos nicht, die Matura steht bevor und die Schule angehalten ist, heuer besonders streng vorzugehen. “Es sei ganz unnütz, dass jährlich tausend junge Mädchen auf den Universitäten inskribieren“, lautet die Losung des Unterrichtsministers; die Universitäten seien schon überlaufen.
Die Zeiten haben sich diesbezüglich geändert und Politik bleibt in „Morgen ist alles besser“ im Grunde ausgespart, sieht man von der beherrschenden Männerriege ab, die Toni Hubers weiteres Schicksal bestimmt. Wenn „Morgen ist alles besser“ einen tieferen Sinn hat, dann nicht als Gegenstück zu „Schüler Geber“ oder als kecker Frauenroman a la Irmgard Keun, wie er damals neu und „in“ war, sondern aufgrund der Weise und Leichtigkeit mit der Selinko ihre Geschichte einer unwahrscheinlichen, parodistisch-märchenhaften Kariere erzählt. Man darf eher an Billy Wilder denken und an die Screwball-Komödien der 30er und 40er Jahre.
Zur Erinnerung: Der englische Slang-Ausdruck Screwball beschreibt eine Person mit eigenartigen bzw. skurrilen Angewohnheiten. Skurril ist im Falle der Antonia Toni Huber, deren Mutter nach dem Ersten Weltkrieg an der Spanischen Grippe starb und deren Vater Friedl bald sterben wird, alles. Auf die Frage des Vaters - ehemaliger k.u.k. Rittmeister und mittlerweile Versicherungsvertreter - was das Töchterlein nach der Matura werden wolle, folgt die prompte Antwort: »Ich?« Tonis Gesicht verklärt sich. Ihre Stimme klingt ganz träumerisch: »Friedl, ich werde das Schönste, das es auf der Welt gibt. Ich werde ein richtiger Parvenü. Einverstanden?“ Wir sehen die Erzählerin mit den Augen zwinkern. Die alte Welt der Residenzhauptstadt geht für Toni mit dem eindringlich geschilderten Tod des Vaters im Krankenhaus endgültig unter; Köchin und Hausdiener werden entlassen, Tante Florentine lässt die schönen Mahagonimöbel versteigern. Einziges positives Erlebnis, um nicht zu sagen – ein Wunder: der rührselige Hofrat und Vorsitzende bei der Reifeprüfung schenkt der „kleinen Huber“, als er deren Trauerflor bemerkt, die Matura.
Ein neues Leben beginnt – symbolträchtig mietet die Achtzehnjährige mit bescheidener Erbschaft eine Junggesellenwohnung. „JETZT WOHNT DIE Toni Huber also im Himmel. Ihre Wohnung dort oben besteht aus einem einzigen Zimmer, aber es ist trotzdem eine richtige Wohnung. (…) Der Himmel: Hochhaus in der Herrengasse, Stiege sieben, achter Stock. Das Hochhaus ist »der« Wolkenkratzer von Wien. Der riesige „Asphaltkasten“, wie Toni das Gebäude nennt, ist Symbol für Modernität und Urbanität, bis heute wohnt dort so mancher Parvenue; die kleine Huber stolpert sich von hier aus zur Grande Dame als Radiosprecherin durch. Sie geht in die Kärntner Straße Auslagenbummeln, träumt von Pelzmänteln und Sportwagen, vor allem von einem Mann: Groß, sehr groß, einem Mann wie Gary Cooper, dem Filmschauspieler. Für ihre Karriere lernt sie Maschinschreiben und Stenografie und findet eine Anstellung als Schreibhilfe im Radio. Selinko bietet Slapstick der feinsten Art wenn Toni sich in der Radioanstalt verirrt und irrtümlich in Hörspielstudio Hörspielprobe mit Geräuschmachern bei der Aufnahme gerät. In einem Studio spielt auch die zentrale Szene zwei Monate später, in der der Roman-Titel fällt. Ein Sprecher erleidet beim Verlesen der Nachricht über eine Eisenbahnkatastrophe einen Nervenzusammenbruch, weil er seine Frau im verunglückten Zug weiß – die zufällig anwesende Toni wird zur Retterin in der Not.
»Das Mikrophon!«, durchzuckt es Toni. Er hat den Gutenachtgruß nicht gesprochen. Toni hat die Augen geschlossen. Unwillkürlich falten sich ihre Hände. Viele Menschen hören Radio, viele Menschen können nicht schlafen. »Gute Nacht«, spricht die kleine Stimme, ein tiefer, zärtlicher Unterton schwingt mit. Schon so lange hat ihr keiner Gute Nacht gesagt. »In der Nacht sind alle Sorgen groß und besonders schwer. Und man glaubt, dass sie nicht zu ertragen sind. Aber morgen ist alles anders. Nichts kann schlimmer werden, morgen – morgen ist alles besser –«
Der Skandal ist perfekt, die Herren Direktoren, Hofräte, und Sendungsverantwortlichen verfallen in Hysterie – Toni wird ob ihrer Eigenmächtigkeit fristlos gefeuert. „Man wird sich umbringen müssen“ sinniert sie und irrt durch die die Stadt, trifft aber bei der Rückkehr ins Hochhaus auf ihren Traummann – Leslie, den englischen Bohemien, der sie kurzer Hand auffordert: »Come along, little lady!« Am nächsten Tag geschieht das noch größer Wunder: Die Radiohörer der nächtlichen Verabschiedung sind begeistert, Dichter Johannes Krapp, Leiter der literarischen Abteilung, der zu Tonis Mentor wird, weiß warum: „Eine von vielen hat gesprochen. Eine Einsame, eine Kleine, eine Unbedeutende. Ihre Stimme rührt die kleinen Leute, die Einsamen, die Unbedeutenden. Das ist das Geheimnis dieser Stimme.“ Die Direktion beschließt aus Antonia Huber einen Star zu machen, Anfangsgehalt für das tägliche „Gute Nacht“ aus Tonis Mund – eintausend Schilling!
In knappen Strichen zeichnet Annemarie Selinko ein liebevoll-bitterböses Bild der besseren Wiener Gesellschaft, verschränkt ganz dem Gesetz der Screwball-Kömodie entsprechend eine Liebesgeschichte mit Partnertausch und – Verwechslung in ihre Story; am Ende folgt sogar noch ein programmatischer quasi feministischer Auftritt der zum internationalen Radio-Star mutierten Toni vor ihrer ehemaligen Schule. Die Besitzerin eines Silbernen Cabrios (bar bezahlt) mit roten Ledersitzen und Trägerin eines Capes aus Fuchspelz schockiert die Lehrerschaft und begeistert den nächsten Jahrgang an Maturantinnen: »Ihr sollt ans Leben glauben. Ich bin ein Beweis dafür, dass man nicht untergehen muss, wenn man nicht unbedingt Veranlagung dazu hat. Schaut, ich bin nicht hübsch und wirklich nicht gescheit und – ich hab es doch geschafft!“
Ganz am Schluss steht ein Heiratsantrag mit Hund und drei Wochen Bedenkzeit – den Heiratsantrag macht wohlgemerkt Toni Huber.
Was „Morgen ist alles besser“ über den gelungenen Plot hinaus reizvoll, und ja – so vergnüglich macht, ist das heute aus der österreichischen Literatur verschwundene Lokalkolorit. Altmodisch gesprochen. Also: jene Austriazismen, die dem Roman eine gewisse Patina verleihen und eine längst untergegangene Welt aufklingen lassen: „Alsdann“ heißt es da, „’ß Gott, ’ß Gott“, oder „Jessasmariandjosef“. Eine bessere und geistreichere Sommerlektüre als Annamarie Selinkos Buch wird sich kaum finden lassen. Mit einem Wort: „Morgen ist alles besser“.
EXLibris
Ö1, Radiogeschichten