164 Seiten, Broschur
Mit Fotos

€ 18.90

ISBN 978-3-902950-154

Als E-Book in allen einschlägigen Stores erhältlich.

Wolfgang Pollanz, Wolfgang Kühnelt (Hg.)

Das letzte Lied

Songs zum Abschiednehmen

Wie würde sich Ihr persönlicher Begräbnissoundtrack anhören?

Soll man die Gestaltung seines eigenen Begräbnisses wirklich den Verwandten und Nachkommen überlassen? Was, wenn dann auf der Trauerfeier „Candle in the Wind“, „Time to Say Goodbye“ oder gar „Sag zum Abschied leise Servus“ gespielt wird, einer der Songs also, die angeblich zu den beliebtesten Trauerliedern auf Beerdigungen zählen?

Dass es auch anders geht, wird mit diesem Buch bewiesen.

Denn wohl jeder hat schon einmal über sein eigenes Begräbnis nachgedacht – und welche Musik dabei gespielt werden soll. Genau das macht nun eine illustre Reihe von Autoren und Autorinnen in diesem Buch und schreibt über den letzten Song. Dabei kommt nicht nur Tieftrauriges und Herzzerreißendes zum Vorschein, sondern auch die eine oder andere musikalische Überraschung.

Letzte Lieder von Austrofred, Martin Amanshauser, Ernst M. Binder, Martin Blumenau, Leo Fischer, Karl Fluch, Walter Gröbchen, Rainer Krispel, Kommando Elefant, Ernst Molden, Bernhard Moshammer, Klaus Nüchtern, Fritz Ostermayer, Kurt Palm, Wolfgang Paterno, Kurt Razelli, Monique Schwitter, Johannes Silberschneider, Clarissa Stadler, Linda Stift, Christian Y. Schmidt, Mika Vember u. a.

Fritz Ostermayer
Hier kommen die Glocken!

»Das Füttern der Toten mit Noten ist verboten.«
Burgenländisches Sprichwort

»Sterbende mögen keine ›nasalen‹ und ›quäkenden‹ Stimmen, ebensowenig ›schnarrende‹ oder ›sägende‹ Klänge« – verkündete der texanische Psychoakustiker Max Neuhaus 1980 und bewies damit nur, dass Weisheit sich gern mit Binse paart. Gieren doch auch Lebende in der Regel nicht nach unangenehmen Frequenzzusammenballungen, es sei denn das Sägen kommt von einer elektrischen Gitarre und das Quäken von Bob Dylan. Neuhaus – ein Propagandist sogenannter »soft frequencies« – entwickelte 1978 eine weniger »nervtötende« (»soul-destroying«) Sirene für amerikanische Polizeifahrzeuge, die jedoch nie zum Einsatz kam, weil mit der Entschärfung des Sounds auch ein Autoritätsverlust der Exekutive befürchtet wurde. Nur ein bedrohliches Klangdesign verschaffe Respekt, so dachten die Sirenen-Hardliner wohl und kümmerten sich nicht weiter um den Schlaf der Gerechten.
Seit Jahrzehnten versuchen Mediziner und Psychoakustiker wie Neuhaus auch das Leid von Todkranken mit »soft frequencies« zu lindern. In den Hospizen der USA verstand man darunter lange ein New-Age-artiges Gewaber ohne instrumentale Spitzen, vorzugsweise eingespielt auf dem dafür geradezu prädestinierten Yamaha DX7-Synthesizer mit seinen mittelfrequenten Flöten- und Streicherklängen. Der Kuschelsound kam jedoch nicht an: weder bei den Moribunden noch bei deren Angehörigen. Der Denkfehler der sonischen Schmerzlinderer bestand schlicht darin, den Sterbenden auf einen psychoakustischen Idealtypus ohne eigene musikalische Biografie zu reduzieren. Krebsopfer im finalen Stadium können jedoch recht störrisch sein – und resistent gegen akustische Bevormundung. Als man um 1995 auch in Österreich damit anfing, Sterbezimmer mit ätherischen »soft frequencies« zu beschallen, weigerte sich so mancher Todgeweihte mit letzter Kraft gegen diese fremden Sounds, die nie zu seinem Leben gehört hatten und somit auch beim Sterben nur (ver)störten. Das medizinische Personal lernte daraus, dass es trostvoller sein könnte, den Patienten ihre Lieblingslieder aus besseren Zeiten vorzuspielen. Seither wuchern die Metas-tasen zu den Schlagern von Peter Alexander, sterben die armen Menschen zum »Zillertaler Hochzeitsmarsch« und die ersten wahrscheinlich auch schon zu »Ein Stern, der deinen Namen trägt«. Ein Jammertal, zweifellos, gegen das ich mich mit einem unter dem
Polster versteckten Revolver zu wehren wissen werde. Bis aufs Blut, wenn’s denn irgendwie noch geht.
Beim Sterben – hört her, meine Lieben – will ich nämlich meine Ruh’. Da brauche ich keinen Black Metal mehr als Hardcore-Palliativtherapie und auch keine »soft frequencies«, selbst wenn sie von Brian Enos bislang noch unveröffentlichtem Ambient-Meisterwerk »Music To Fade Away« stammten. Ich wäre schon zufrieden, wenn die musique concrete der Medikamentenpumpen, Beatmungsgeräte und sonstigen Gerätschaften einer Intensivstation meinen dann hoffentlich gnädig sich einstellenden Komatraum vom »Licht am Ende des Tunnels« nicht allzu sehr verdunkeln würde. Würde! Genau – Sterben in Würde heißt auch zu akzeptieren, dass alle Volume-Regler nunmehr auf null stehen.

*

Post mortem ist freilich alles anders, weil: eh schon wurscht.
Deshalb folgt hier eine unvollständige Liste jener Begräbnismusiken, mit deren Hilfe ich meine Angehörigen und Freunde ins Leben zurückterrorisiert und mich ins Grab hineinkatapultiert wissen möchte:
– meine geliebten Feldaufnahmen einer Horde Brüllaffen aus Borneo: ein zeitloses Dokument unzähmbarer Renitenz und gnadenlosen l’art pour l’art-Lärmens.
– ein Tondokument vom Jahrestreffen der internationalen »Quer- und Blockflöten-Association«: Angsteinflößender und grausamer kann auch die Hölle nicht sein.
– eine Kassette mit frenetischen Jubelgesängen der letzten Kannibalen aus Neuguinea: für die tröstliche Erkenntnis, dass man auch als Leichnam noch nützlich sein kann, und sei es als Eintopf.
– eine CD mit entsetzlichen Klagelauten geschlechtlich abgewiesener Flussotter-Männchen: als letzter Aufschrei gegen alle sexuelle Ungerechtigkeit dieser Welt.
– eine Single der ekelhaften »Guns N’ Roses«: Damit die Trauergäs-te wirklich was zu leiden haben.
– mein hochverehrtes Zahnarztbohrmaschinen-Orchester »Parodontose 3000«: hunderte amusische Dentisten im erbarmungslosen Kampf gegen Karies und für immerwährendes Ohrensausen.
– eine Endlosschleife mit dem berühmten Wassertropfen, der dem Gefolterten tagelang aufs Haupt donnert: als endgültige Absage an das beängstigende Konzept »Ewigkeit«.
– millionenfach verstärkte Aufnahmen von Verwesungsbakterien bei der Schichtarbeit: ein gigantischer Chor Werktätiger im Dienste der allumfassenden Entsorgung.
– mein unbezahlbares Tonarchiv »finaler flati«, abgespielt mit 160 Dezibel: als schmerzhafte Warnung, dass es sich auch für die Hinterbliebenen irgendwann ausgefurzt hat.
– das bittere Schluchzen eines Basstölpels am Ende der Balzzeit: dies allein für den Trost, dass irgendjemand mir doch nachweint – und sei es ein frustrierter Basstölpel.
– und nicht zuletzt – Schallaufnahmen von Demagogen, Populisten und anderen Volksverhetzern samt Beifallsgeblök der aufgehetzten Massen: dies in der Hoffnung, dass es so auch den Nachgeborenen einmal leichter fallen wird, einer beschissenen und unbelehrbaren Arschlochwelt ade zu sagen.

*

»Keine Trauermärsche?«, fragt jetzt vielleicht der eine oder andere, der meine Obsession für diese letalen Smash-Hits kennt. Keine Trauermärsche! Es soll keine unnötige Träne auf Reisen gehen und hässliche Salzkrusten auf der Kleidung hinterlassen. Das wär ja noch schöner! Ganz im Ernst: Wer zu Lebzeiten kein Kontrollfreak gewesen ist, der wird auch am Ende nicht auf den Terror Pawlow’scher Reflexe setzen, um so die Gefühlshaushalte der Trauergäste noch über den Tod hinaus zu beherrschen. Das letzte Lied gehört allein den Lebenden, also sollten sie – falls denn überhaupt erwünscht – das Recht haben, sich eins auszusuchen.
Einen Tipp in aller gebotenen Demut hätte ich freilich schon: »The Bells« von Lou Reeds gleichnamigem Album aus dem Jahr 1979. Drei absteigende Basstöne, immer und immer wieder, neun Minuten lang. Dazu die dröhnende Leere erstarrter Synthesizer-Drones, erhebend und niederschmetternd zugleich. Darüber müd-euphorisches Free-Jazz-Gebläse aus Don Cherrys Taschentrompete und Marty Fogels Tenorsax, das den Eindruck eines schockgefrorenen Tableaus eher noch verstärkt denn mindert. Wenn hier Tränen fließen, dann sind die aus Quecksilber. Erst nach fünfeinhalb Minuten setzt die Stimme ein – klagend, weil sie nicht anders kann, pathetisch, weil es der Text so will. Dieses Pathos beschwört in einer mühsam sich hochhantelnden Spiralbewegung sowohl den Untergang als auch – welch kalte Ekstase! – die Lust an diesem: Denn wenn die Glocken kommen, wird alles gut. Und das ist Balsam auch für meine atheistische Seele.

… when he fell down on his knees
after soaring through the air
with nothing to hold him there
it was really not so cute
to play without a parachute
as he stood upon the ledge
looking out, he thought he saw a crock
and he hollered: look, there are the bells
and he said: now here come the bells
here come the bells
here come the bells
here come the bells …

Von Anfang an besteht komplette Sympathie für diese Veröffentlichung. Was für eine schöne Idee.
Tina Manske, Rocks

Top