288 Seiten, Leinen, Fadenheftung, Leseband

€ 24.00

ISBN 978-3-903184-49-7

Als E-Book in allen einschlägigen Stores erhältlich.

Bernhard Moshammer

DER MITTELEUROPÄISCHE REINIGUNGSKULT

„Wir sind das souveräne Volk, wir sind Gottes auserwähltes Volk, ein gastfreundliches und weltoffenes. Wir empfangen die Welt mit offenen Armen, zeigen ihr unser Land, zeigen ihr, wie wir aussehen, uns kleiden, sprechen und leben.“

Julius Aschmann fühlt sich nach einer mystischen Erscheinung berufen und gründet eine Bewegung, den Mitteleuropäischen Reinigungskult. Die Kultur soll gerettet werden, das bunte Fest der Vielfalt endlich ein Ende haben. Doch Aschmanns Rettungszug scheint über gut besuchte Esoterikmessen und Gasthaushinterzimmer nicht hinauszuführen – bis er auf die charismatische Julia Mantz trifft.

Anton Wagenbach, eben noch preisgekrönter Musikkritiker, trennt sich von seiner langjährigen Freundin und nimmt sich eine Auszeit in Brighton. Er ist von Aschmann fasziniert und will endlich ein Buch über ihn schreiben. Er nützt die Zeit der Recherche für eine Reise zu sich selbst.

Ein kluger und leidenschaftlicher Roman über Politik und die Freiheit der Kunst.
Sehr lesenwert!

Durch die Schlitze zwischen seinen Fingern sah er das Licht. Es war mehr als Licht, es war ein überbelichtetes Strahlen, das den Raum, womöglich die ganze Stadt, in ein unwirkliches, geradezu steriles Weiß tauchte, es mochte von draußen kommen. Aschmann schob seine Finger zusammen, aber das Leuchten drang durch, als ob sie aus Butterbrotpapier wären, und zwang ihn, die Augen zu schließen. Auch das nützte nichts, seine Lider waren transparent, oder aber dieses Licht war von ungekannter, absoluter Kraft. Vielleicht wurde St. Pölten gerade Opfer eines Atomangriffs, vielleicht war es der jüngste Tag, der sich hier mitten in der Nacht breitmachte, vielleicht waren die Außerirdischen da, dachte er todernst. Ihm sollte es recht sein, er würde sich ihnen anvertrauen, was immer sie wollten; vielleicht war er ja eine Person von immenser Wichtigkeit für die Bewohner eines fremden Planeten irgendwo in einer fernen Galaxie. Vielleicht schaute eine kleine Belohnung für ihn dabei raus, sie könnten ihn retten und mitnehmen, ihn einführen in die Lebensweise einer voll entwickelten, friedlichen Gesellschaft, ihm eine liebevolle Frau mit drei Brüsten zuweisen und so weiter.
Seine lächerlichen, losgelösten Gedanken verwunderten ihn, jetzt erst bemerkte er, dass das Ding in seinem Kopf weg war, das bloße Denken ihn nicht mehr schmerzte. Schlief er? War das ein Traum? Wahrscheinlich.
Eine eigenartige Stille hatte sich über sein Zimmer – und wieder dachte er, womöglich über die ganze Stadt – gelegt, nicht einmal die Klimaanlage, die draußen an der Hausmauer von einem Nachbarn angebracht worden war und deren konstantes Dröhnen ihn immer quälte, war zu hören; kein Wind, keine Passanten, kein Ächzen, Stöhnen und Schnarchen der schlafenden Stadt. Und dann vernahm er eine freundliche Stimme.
»Hallo. Schauen Sie mich an, Julius.«
Aschmann nahm die Hände vom Gesicht und erblickte inmitten dieses überirdischen Strahlens eine kleine, rundliche Gestalt, eine Frau, wie er annahm. Sie trug einen weißen Trainingsanzug mit roten Streifen an Armen und Beinen, lächelte und sagte: »Ich weiß, das ist jetzt irgendwie schräg.«
»Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Mufu, ich bin ein Bote.«
»Ein Bote?«
»Ja. Ich muss Ihnen etwas zeigen.«
»Etwas zeigen?«
»Werden Sie alles, was ich sage, wiederholen?«
»Nein. Entschuldigung.«
»Ich muss sagen, Sie wirken recht gefasst, das erleichtert die Sache.«
»Welche Sache?«
»Was geschieht hier Ihrer Meinung nach?«
»Woher soll ich das wissen? Ich bin krank, glaube ich, körperlich krank, eine Grippe oder so was, wahrscheinlich halluziniere ich. Ich habe diesen Typen aus dem Mühlbach gefischt, ich habe ihm das Leben gerettet und ihn dann – ich weiß nicht, welcher Teufel mich da geritten hat – hierhergebracht. Ich weiß, das war nicht richtig, es ist verrückt, ich hätte die Exekutive informieren, den Mann den Behörden übergeben müssen. Aber jetzt ist er hier und verseucht mir die Bude. Dann übermannte mich ein fürchterlicher Migräneschub, der jetzt aber wie weggeblasen ist. Ich habe also keine Ahnung, was hier vorgeht.«
»Nun, es ist auf jeden Fall von erheblicher Bedeutung. Kann ich Ihr Klo benutzen?«
»Ja, sicher«, sagte Aschmann verunsichert.
Die Frau, Mufu, ging also aufs Klo. Ihr Schamgefühl erwies sich sogleich als nicht vorhanden, denn kaum war die Tür zu, furzte sie drauflos, als ob es nichts Schöneres gäbe, und kicherte darüber wie ein Kind. Julius wusste nicht, was er davon halten sollte. Vor ihm der sabbernde Fremde, auf seinem Klo der kackende Bote – wenn das der Preis für das Ende der Migräne war, war er ihn zu zahlen bereit, aber normal war das nicht. Sicher inszenierte der Fieberwahn dieses absurde Spiel.
Julius wischte mit den Handflächen über seine Oberschenkel, vor und zurück, vor und zurück, sah auf seine Hände – sie zitterten. Erst dieser Anblick ließ ihn der Todesangst gewahr werden, die ihn ergriffen hatte. Weißes Licht war doch ein eindeutiges Synonym für den Tod, oder etwa nicht? Seine Wahrnehmung hatte sich verschoben, was gerade noch wirklich gewesen war, war ausgeschaltet. Aber es war nicht gut, es entsprach nicht dem verbreiteten Klischee der Nahtoderfahrung, das dem Verängstigten totalen Frieden sowie die Erfüllung des tief empfundenen Wunsches, nicht ins schmerzvolle Leben zurückkehren zu wollen, versprach. Seine Hände behaupteten das Gegenteil – das war also ein Albtraum. Wieder dachte er, er sollte die Polizei anrufen, aber was sollte er sagen? Mufu, der Bote, sei gekommen, um ihm eine Sache von erheblicher Bedeutung zu vermitteln? Ein halbtoter Illegaler aus dem Mühlbach liege auf seinem Ikea-Teppich? Nein, das konnte er nicht tun, also blieb er sitzen und wartete.
Er hörte die Klotür ins Schloss fallen, die Spülung hatte er nicht gehört. Schiss ihm die Alte etwa in die Wohnung, ohne sauberzumachen? War das ihre Mission von erheblicher Bedeutung? Sie stand schon wieder vor ihm und strahlte, also ihr Gesicht strahlte, das blendende Weiß um sie herum war weg. Jetzt stand nur noch eine fremde Frau im Trainingsanzug in seiner Wohnung, rieb sich die Hände und schob die Ärmel ihrer Jacke nach oben.
»Wir haben viel zu tun, Julius.«
»Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?«
»Ich bin Mufu, der Bote.«
»Ja, aber … sind Sie eine Frau?«
Mufu lachte. »Ich will nichts, was eine Frau von Ihnen wollen könnte.« Und augenzwinkernd fügte sie hinzu: »… eine sehr verzweifelte Frau vielleicht.«
Plötzlich sah Aschmann in ihr die Bedrohung, den Eindringling, der sie war. War das nicht seltsam? Als das Licht da war, die Engelserscheinung, die seinen Schmerz irgendwie aufsaugte, war er ganz ruhig. Jetzt, wo es kein Engel, sondern nur noch eine Frau war, begann er wieder zu schwitzen und zu zittern. Er hatte schon den Wassermann am Hals, was sollte er mit der Frau? Wenn nur nicht das Ding in seinen Kopf zurückkam!
»Wie haben Sie meine Migräne weggemacht?«
»Das ist eine alte Technik, nicht der Rede wert. Sie sagen, meine Migräne? Haben Sie sie in ihren Alltag integriert oder würden Sie sagen, dass die Migräne etwas Eigenständiges ist, eine kreative, Energie erzeugende Entität, die sich mit Ihnen verbindet, Sie bewohnt oder besetzt, die zu Ihnen wird oder Ihren Charakter simplifizierend erklärt?«
»Was?«
»Egal. Ich bin hier, um Ihnen etwas zu zeigen. Ab morgen können Sie der Welt von Visionen berichten.«
»Ich verstehe gar nichts.«
»Das macht nichts. Es zählt nur, was Sie danach machen.«
»Für mich zählt nur, dass die Migräne weg ist. Ihre alte Technik interessiert mich.«
»Die Migräne wird nicht mehr wiederkommen.«
»Nie mehr?«
»Nicht, wenn Sie sich auf mich einlassen.«
Ungläubig starrte Julius dieser Verrückten ins Gesicht. Was auch immer das zu bedeuten hatte – das Ding in seinem Kopf war weg, und dafür, dass es nie mehr käme, war er alles zu geben bereit.
»Und das können Sie mir garantieren? Helfen Sie mir auch, diesen Kerl hier loszuwerden?«
»Ja.«
»Echt? Also gut, was ist das für eine Vision?«
»Es sind zwei, eigentlich drei. Die erste bin ich, ich bin die Absenz der Migräne.«
»Aber Sie sind eindeutig hier … Sie waren auf meinem Klo.«
»Es gehört zum Wesen einer Vision, dass man Dinge sieht und sie als Wirklichkeit wahrnimmt.«
»Sie sind also nicht hier?«
»Das ist eine langweilige Diskussion. Ich sage nur so viel: Ihre Träume, also nicht Ihre Wünsche, sondern Ihre Schlafträume erleben Sie ja auch wirklich, Sie tun sie nur ab als Träume, weil es Ihren Geist überfordern würde, sie als etwas tatsächlich Manifestes zu begreifen. Was würden Sie sagen, Julius: Bin ich hier?«
»Ja.«
»Na also. Sind Sie bereit?«
»Ich weiß nicht. Kann ich noch schnell aufs Klo gehen?«
»Selbstverständlich.«
Aschmann stand auf und machte sich auf den Weg, die Frau blieb mitten im Zimmer stehen und blickte ihm freundlich nach. Der Fremde lag reglos vor ihr. Kurz bevor Julius die Klotür öffnete, fiel ihm ein, dass Mufu vorhin nicht gespült hatte. Er hatte keine Lust auf eine weitere Sauerei, es erschien ihm jedoch unhöflich, sie darauf anzusprechen, also lächelte er verlegen und öffnete die Tür.

Roman des Monats August

Entwarnung: Das hier ist kein Corona-Buch. Der Wiener Autor Moshammer, der bei Milena schon zahlreiche Romane veröffentlicht hat, zeigt uns allerdings eine Welt, die viel Gegenwärtiges in sich trägt. Stichworte: Rechtspopulismus, AfD, Reichsbürger, Verschwörungsspezialisten.

Der Journalist Wagenbach gerät in eine Lebens- und Schaffenskrise und beschließt, einen mehr als seltsamen Menschen zu treffen – und anschließend ein Buch über ihn zu schreiben. Julius Aschmann, Gründer einer Art Sekte namens „Der mitteleuropäische Reiningungskult“, kurz MRK. Nein, es geht nicht um das richtige Händewaschen in Pandemie-Zeiten. Es geht um ein Manifest, das der eine als „feurig“ beschreibt, die andere aber als einfallslos und dumm. Aschmann will Österreich retten, insbesondere die mittlere Schicht, die er für bedroht hält. Die Kranken, die Bedürftigen, die Bettler und die Flüchtlinge, die bekommen viel zu viel Aufmerksamkeit. Der brave, ganz normale und eifrige Bürger hingegen? Der wird übergangen.

Kommt das irgendwem bekannt vor? Der immer mehr auf Aschmann fixierte Journalist Wagenbach trinkt zu viel, sinniert zu viel und beginnt an der Sinnhaftigkeit seiner Suche nach dem seltsamen Ösi-Guru zu zweifeln. Und dann trifft er ihn. Und zwar ausgerechnet in Brighton. Hier setzt der zweite Teil ein, der uns zunächst in die abgedrehte Welt des Julius Aschmann führt. Durch ein mystisches Erlebnis wird er nicht nur seine Migräne los, sondern fühlt sich plötzlich auserwählt. Er beginnt Uniform zu tragen und schafft es, ein paar hundert Jünger um sich zu scharen. Als es aber zum Zusammentreffen kommt, wirkt Aschmann nicht mehr wie ein überzeugter Führer, sondern voller Selbstzweifel. Kein Wunder, das Publikum ist ausgeblieben. Keine Fans in Sicht.

Fast ebenso seltsam und voller Irrungen und Wirrungen wie die Geschichte ist auch das Buch. Es wechselt die Perspektiven, die Tonalität, es bringt Zitate aus der Popkultur und krude Thesen. Dabei ist es aber auf eine ganz eigene Art spannend. Man kommt von den gescheiterten Männerfiguren nicht los. Und sehnt sich doch nach einem finalen Showdown.

Kein Mainstream-Buch. Auch keine leichte Lektüre. Wahrscheinlich nichts, das einen weiterbringt im Leben. Aber doch ein Roman, der es wert ist, gelesen zu werden. Gerade in Österreich. Gerade 2020.

https://www.haubentaucher.at/2020/07/roman-des-monats-august/



Der Roman „Der mitteleuropäischer Reinigungskult“ vom Schriftsteller und Theatermusiker Bernhard Moshammer handelt nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, von einem ausgeprägten Sinn fürs Saubermachen. Das Buch widmet sich in drei Teilen jeweils drei Männern mit großen Ideen. Der „Mitteleuropäische Reinigungskult“ ist eine Bewegung, gegründet von Julius Aschmann, der sich nach einer mystischen Erscheinung dazu berufen fühlt. Er will die mitteleuropäische Kultur retten, im Manifest des MRK heißt es:

Vor Gott mag jeder Mensch gleich sein, nicht aber vor dem Menschen. Vor Gott mag jeder Mensch gleich viel Wert und Würde haben, nicht aber vor uns. Für Gott mögen die Kulturen ein buntes Fest der Vielfalt sein, nicht aber für uns. Wir sind Menschen, wir sind Individuen, wir sind ein Volk, ein mitteleuropäisches Volk. Es ist uns nicht gegeben, durch die Augen Gottes zu schauen. Wir glauben an die Verantwortlichkeit des Individuums. Wir glauben an die Kraft der Reinigung.

Doch Aschmanns Rettungszug scheint über Esoterikmessen und Gasthaushinterzimmer mit rechten Wutbürgern nicht hinauszuführen – bis er auf die charismatische Julia Mantz trifft. Die beiden heiraten und mit der entsprechenden Marketingstrategie will sie ihn als auserwählten Sektenführer etablieren.

Durch die Schlitze zwischen seinen Fingern sah er das Licht. Es war mehr als Licht, es war ein überbelichtetes Strahlen, das den Raum, womöglich die ganze Stadt, in ein unwirkliches, geradezu steriles Weiß tauchte, es mochte von draußen kommen. Vielleicht wurde St. Pölten gerade Opfer eines Atomangriffs, vielleicht war es der jüngste Tag, der sich hier mitten in der Nacht breitmachte, vielleicht waren die Außerirdischen da, dachte er todernst. Ihm sollte es recht sein, er würde sich ihnen anvertrauen, was immer sie wollten; vielleicht war er ja eine Person von immenser Wichtigkeit für die Bewohner eines fremden Planeten irgendwo in einer fernen Galaxie.

Anton Wagenbach ist Musikkritiker. Bei einer - wie es im Buch heißt - „traditionell fragwürdigen Award-Show“ bekommt er einen Preis verliehen und hält zur Verwunderung des Publikums eine nostalgische Rede über die Vorteile der CD als Medium. Bei der After-Show-Party kommt es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einem Branchenkollegen und anschließend zur Trennung mit seiner langjährigen Freundin. Wagenbach nimmt sich daraufhin eine Auszeit in Brighton. Er will ein Buch über Aschmann schreiben und als Nazijäger groß rauskommen.
Was angelegt ist wie eine spannende Spurensuche, verläuft sich aber zusehends und das ist auch gut so: Statt die Handlung voranzutreiben, ergehen sich die Protagonisten in ausufernden, aber nie ermüdenden Monologen über die Kunst, die Gesellschaft und das Leben an sich. Die Vorträge sind gespickt mit klugen Gedanken etwa über Thomas Bernhard, Virginia Woolf oder Iggy Pop.
Anton Wagenbach nützt die Zeit der Recherche für eine Reise zu sich selbst, eine Selbstfindung, oder besser gesagt, eine Selbsterniedrigung. Ihn überkommen selbstzerstörerische Gedanken: Er sinniert über die Kunst als größenwahnsinnigen und dennoch notwendigen Akt, erkennt das Scheitern sowohl linker als auch rechter Utopien und vergleicht sich als Künstler gar mit Adolf Hitler.

Ich bin Hitler, ich bin der typische Autodidakt. Das ist zwar mitunter, was eine Existenz in der Popkultur ausmacht, aber das macht es nicht besser. Ich bin ein bisschen zu intelligent, um auszurasten wie ein verdammter Amokläufer und zu dämlich, um etwas Großes aus mir zu machen. Auf dieser Skala entscheiden sich die Karrieren. Hitler trug die perverseste, explosivste Mischung in sich; er hatte alles, den paranoiden Wahn, die manische Disziplin, das verrückte Charisma, er war – aus seiner Sicht – zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, er hatte das Zeug zum Durchbruch. Ich habe nicht das Zeug zu irgendwas. Mein eigenes Geschreibsel ist womöglich nicht mehr wert als Hitlers Malerei.

Wagenbach ist nicht nur von sich selbst angewidert, sondern von der Kunstszene generell, mitsamt ihrer moralischen Arroganz und Scheinheiligkeit. Künstler seien wie ungebetene Gäste, die den öffentlichen Raum bevölkern und sich permanent zu allem und jedem äußern, meint er. Sie nennen sich Dichter, Filmemacher, Songschreiber, geben sich weltgewandt und bezeichnen sich selbst als Subkultur, wo sie doch nur erfolglos seien.

Die Kulturszene! Wenn ich dieses Wort lese, wird mir schlecht. Ein weiterer Appell der Kulturszene, meine Damen und Herren! Die Kulturszene macht sich Sorgen um die Bienen! Hört, hört! Die Kulturszene wendet sich gegen das Patriarchat, gegen Plastik und Nazis! Die Kulturszene ist kritisch, sorgt sich um die Gegenwart und freilich um die Zukunft! Hört, hört! Die Kulturszene beschwert sich, ist unzufrieden, will mehr Geld, mehr Aufmerksamkeit, mehr Bühne, mehr Anerkennung, mehr Gewicht, weniger CO2, aber mehr Preise, die große Wende, über die sie sich dann aufs Neue beschweren kann.

Auch Aschmann ist sich seines Versagens durchaus bewusst. Er inszeniert sich als erleuchteter Guru, in Wahrheit ist er aber ein unscheinbarer St. Pöltner Lehrer, der die pubertären Aufsätze seiner Schüler abschreibt und von seiner Frau geschlagen wird. Am Ende verbrüdern sich der Möchtegern-Aufdeckerjournalist und der Möchtegern-Sektenführer und schließen einen moralisch fragwürdigen, aber wahrscheinlich sehr österreichischen Pakt – einen Pakt der Selbstvernichtung.
Der letzte und kürzeste Teil des Romans widmet sich Hans Tellar. Er macht Musik, die niemand hört und versteht: Postindustrialavantgarderock. Nach einem Auftritt in einem Nazilokal wird er verhaftet. Aus dem Gefängnis heraus schreibt er teils hochtrabende, teils verzweifelte Briefe an seinen Freund Anton Wagenbach. Es sind tragikomische Geschichten dreier ganz unterschiedlicher Kulturpessimisten, die zeigen, was sie gemeinsam haben, unabhängig von ihrer ideologischen Positionierung: Mögen sie noch so große Reden schwingen und Ideen zur Verbesserung der Welt vorlegen: Letztendlich sind sie – wie es der Autor selbst ausdrückt – auch nur armselige, kleine Würstchen und haben es schwer.

Ex libris, 7.6. 2020, Beitrag: Claudia Gschweitl


Bernhard Moshammers Roman "Der Mitteleuropäische Reinigungskult" ist nicht das, wonach er aussieht. Die Geschichte des Musikjournalisten Anton Wagenbach, der sich auf Spurensuche nach Julius Aschmann, dem untergetauchten Gründer des "Mitteleuropäischen Reinigungskults", begibt, klingt nach Hetzjagd und Nazi-Action und entpuppt sich dabei als "patscherte, österreichische G'schicht" mit viel Humor.
Julius Aschmann hat eine Vision. Eigentlich ist er ein braver St. Pöltner Lehrer mit Migräneanfällen. Da erscheint ihm Mufu, eine furzende, geschlechtslose Engelserscheinung im weißen Trainingsanzug. Sie verspricht ihm das Ende seiner Migräne, wenn er den Mitteleuropäischen Reinigungskult gründet. Und so trommelt er seine Jünger zusammen. Doch nach ein paar Medienskandalen um die angeblich rechtsgesinnte Sekte taucht Aschmann unter. (…)
Er reist nach Brighton in der Hoffnung, Aschmann dort zu finden, hat aber keinen wirklichen Plan. Dass er dort hauptsächlich über sein Leben sinniert, in leichten Verfolgungswahn kippt und sich von der quirligen Therapeutin Anne in nächtlichen philosophischen Exzessen unter den Tisch trinken lässt, ist eine sehr österreichische Version von einer Verfolgungsjagd. Fern von Hollywood-Action oder Plot-Tempo heißt es da sinnieren, saufen und – erst mal abwarten. (…)
Und so sitzt Anton im spießigen England und denkt über sein Leben nach. Dabei beweist Bernhard Moshammer Mut zum Monolog. Und hier liegt der Charme dieses Krimis, der kein Krimi ist, begraben. (…)
Als Anton letztendlich Julius Aschmann gegenüber sitzt, muss er feststellen, dass dieser auch nur ein armes Würstchen ist, dem eigentlich alles zu viel geworden ist. Nur seine Frau Julia Mantz, die gern mal zu häuslicher Gewalt neigt, versucht verbissen, seine Visionen in der Esoterikszene zu vermarkten, mit schwindendem Erfolg. (…)
Und so finden die Romanhelden ihr eher glanzloses Happy End irgendwo zwischen polnischem Abgang und Resignation. Auch wenn der Roman ohne glorreiches Heldentum auskommt, ist er am Ende doch ein Triumph über die morbide Komik des Alltags.
(APA, Hannah Balogh, Mai 2020)

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