neuerscheinungen
literatur
comic
horror
klassiker
krimi
sachbuch
wissenschaft
zeitgeschichte
beastie_books
humor
glitzer_und_grind
Buchreihen
260 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, Leseband
€ 24.00
ISBN 978-3-903184-84-8
Als E-Book in allen einschlägigen Stores erhältlich.
Erzähl es den Bäumen
Als ihre ehemalige Schulfreundin Kat verschwindet, wittert die Journalistin Martina Hölderlein die Chance auf Bestsellerromanstoff. Sie beginnt eine akribische Recherche, die sie unter anderem zu einer Öko-Sekte führt, wo sie lernt mit Bäumen zu reden. Zuletzt landet sie in Polen, denn angeblich lebt Kat jetzt allein im Wald.
Die junge Journalistin Martina Hölderlein sucht ihre ehemalige Schulfreundin Kat. Diese fehlte beim Klassentreffen. Unterschiedlichste Gerüchte kursieren, was aus Kat geworden ist. Sitzt sie in einer psychiatrischen Anstalt fest? Hat sie ihren Mann und die Kinder sitzen lassen, um auf Kreta als Hundesitterin zu arbeiten? Als ihre Mutter felsenfest behauptet, ihre Tochter sei an einer Überdosis Marihuana verstorben, wittert die ehrgeizige Journalistin eine Story. Das ist der Stoff, aus dem Bestseller bestehen! Die Geschichte soll als Vorlage für Martinas Roman dienen, der sie aus dem langweiligen Redaktionstrott in den Olymp des Literaturbetriebs katapultiert.
Hölderlein taucht in Kats Leben ein, spricht mit den wichtigsten Menschen und einem Teddybären. Jeder zeichnet sein ganz persönliches Bild der jungen Frau. Martina erfährt von zerbrochenen Freundschaften, zweifelhaften Arbeitsbedingungen, gesundheitlichen Problemen und der Sehnsucht nach Stille. Für ihre Recherche schleust sie sich in eine bizarre Öko-Glaubensgemeinschaft ein, versucht Kontakt zu Bäumen herzustellen, riskiert Beziehungsprobleme und reist in einen der letzten Urwälder Europas. Kat und damit des Rätsels Lösung erscheint ihr ständig zum Greifen nahe.
Edie Calies neuer Roman handelt davon, den eigenen Lebensweg zu finden. Feministische Grundsätze treffen auf geteilte Geistesstörungen, brennende Heiligtümer auf sinnsuchende Manager und mütterliche Fehlannahmen auf einen harmlosen Goth. Vielleicht ist es am Ende doch das Beste, alles den Bäumen zu erzählen.
„Ich sage ihr, dass du hier warst.“ – „Telefoniert ihr oft?“ – „Wie denn? Im Wald hat sie kein Handy.“ – „Wieso Wald?“ – „Da gibt’s keine Steckdose zum Aufladen!“ – „In ihrer Wohnung gibt’s keinen Strom?“ – „Im Wald! Sie lebt im Wald! Sie richtete sich ein Camp ein. Mit Verpflegung.“ – „Sie lebt im Wald?“ – „Hab ich doch gesagt!“
»MEDITIERE ZUM BAUM HIN. Strecke deine energetischen Fühler aus und verbinde dich mit der Kraft des Baum-Weisen.«
Hinmeditieren? Ich will mich wegmeditieren! Am besten gleich weglevitieren!
Meine überkreuzten Beine hatten aufgehört zu kribbeln und sendeten seitdem keine Lebenszeichen mehr. Wo mein Hintern den Boden berührte, fraß sich kalter Morgentau durch meine Jeans und Unterhose. Die Nässe löste Harndrang aus. Von oben wärmte die Sommersonne schon so kräftig, dass sich Schweißperlen auf meiner Kopfhaut und unter dem T-Shirt bildeten.
»Sobald deine Aufmerksamkeit wandert, bringe sie sanft wieder zurück zum Baum. Zu diesem alten Lebewesen, das dir seine Weisheiten mitteilen möchte. Er wartet seit vielen Jahren auf diese Gelegenheit. Atme tief und langsam in den Bauch. Schwinge dich auf seine Frequenz ein. Die Frequenz der Natur, die Frequenz der Heilung.«
Das Letzte, worauf der Baum wartet, ist, sich mit Trotteln wie uns zu verbinden. Falls er überhaupt etwas will, dann seine Ruhe.
Die Hippie-Frau neben mir atmete lustvoll aus. Ich öffnete einen Spaltbreit meine Augen. Hoffentlich sieht uns hier niemand! Ich fürchtete, dass mich jemand beobachten könnte, den ich von früher kannte. Seit zehn Jahren wohnte ich nicht mehr in Wien. Trotzdem traf ich noch alte Bekannte auf der Straße, wenn ich zu Besuch war.
Wir saßen zu viert um den Stamm einer knorrigen Eiche herum. Rechts von mir eine circa 60-jährige Hippie-Frau mit langen weißen Haaren. Sie trug ein pink-graues Batikkleid ohne BH darunter. Sie hatte sich gewünscht, dass wir mit einer Sharing-Runde in den Tag starten. Während ich Schwierigkeiten hatte, ihre Nippel zu ignorieren, berichtete sie uns von dem aktuellen Vollmondeinfluss auf ihre Träume. Von dem Einführungskurs erwartete sie sich lichtvolle Erkenntnisse.
Links von mir ein übermotivierter Mittvierziger-Management-Typ. Die Sorte, die sich in jedem mittelständischen Unternehmen in wichtiger Führungsposition fand, obwohl man sofort Aversionen gegen ihn hegte. Wer hievte diese Typen immer an diese Stellen? Alles an ihm wirkte aufgesetzt: seine Legofrisur, sein Lächeln und sein betont lässiges, perfekt gebügeltes Karofreizeithemd. Er erhoffte sich von dem Tag neue Skills für seine Persönlichkeitsentwicklung.
Außerhalb meines Sichtfeldes, auf der anderen Seite des Baumes, saß Otto, der Leiter des Einführungskurses. Er bestand darauf, als Hermes Xixum angesprochen zu werden, was klang wie der Name von Elon Musks Sohn. Ich stellte ihn mir im perfekten Lotussitz vor. Seine nackten Fußrücken ruhten auf der grünen Leinenhose, die schmutzigen Sohlen zeigten hoch zur Baumkrone, und seine Fersen gruben sich in seinen dicken Bauch. In meiner Vorstellung hatte er sein Leinenhemd ausgezogen. Er saß mit nacktem Oberkörper da, der speckig glänzte wie seine Glatze. Mit seinen Händen rieb er gedankenverloren seinen Bauch, als brächte es Glück. Beim Kennenlernen vor zwei Wochen war mir sofort aufgefallen, wie leichtfüßig er über die Erde tänzelte. Er richtete seine Bewegungen behände nach oben, als ob die Schwerkraft seine Leibesfülle weniger anzog. Seine ruhige Stimme passte zu seiner friedlichen Ausstrahlung. Hatte ich sie vor zwei Wochen noch als angenehm empfunden, prasselte sie nun wie Sommerregen auf das Blechdach meiner Nerven.
»Atme tief ein. Und atme tief aus.« Er atmete uns wie Darth Vader vor.
Als wüssten wir nicht, wie man atmet.
»Wenn es dir schwerfällt, eine metaphysische Verbindung aufzubauen, stelle eine physische Verbindung zum Baum-Weisen her. Bitte gedanklich um Erlaubnis und lege deine linke Hand auf die Rinde. Für uns Rechtshänder ist links die Seite, mit der wir erfühlen. Wenn du Linkshänderin bist, nimm deine rechte Hand.«
Meint er mich? Merkt er, dass zwischen der Eiche und mir Schweigen herrscht? Warum spricht er die ganze Zeit in der zweiten Person? Wir sind zu dritt! Wieder linste ich zu den anderen beiden hinüber, die still verharrten. Er sagte »Linkshänderin «! Er meint mich.
Ich fasste mit der rechten Hand auf die Wurzel vor mir. Reicht das? Oder muss es der Stamm sein? Ich schloss meine Augen und versuchte mich zu konzentrieren.
Yeah, the trees, those useless trees. Produce the air that I am breathing. The Trees, those useless trees – Wo kommen auf einmal Pulp her?
»Spüre, was der Baum dir erzählen will. Was teilt er dir mit? Eine Geschichte? Bilder? Geräusche? Gerüche? Vielleicht ein Geschmack, der dir auf der Zunge liegt? Spüre in deinen eigenen Körper hinein. Manchmal lässt dich ein Baum-Weiser teilhaben, indem seine Gefühle auf dich übergehen. Merkst du eine Veränderung?«
Yeah, the trees, those useless trees …
»Öffne dich! Energie drängt darauf zu fließen. Lass es zu! Öffne dich für alle Eindrücke und Wahrnehmungen, ohne –«
Yeah, the trees, those useless trees. Produce the air that … RUHE! Verschwinde, scheiß Ohrwurm! Yeah, the trees, those useless trees. They never said that you were leaving. Yeah the trees, those useless trees. Nicht wieder von vorne!
Die Hippie-Frau und der Management-Typ bewegten sich.
Hab ich was verpasst? Was hat Otto gesagt?
Ich tat es ihnen gleich und löste den Schneidersitz. Das Kribbeln schoss zurück in meine Beine, diesmal wesentlich stärker. Ich rappelte mich hoch und stützte mich an der Eiche ab.
»Alles gut?«, fragte der Management-Typ.
»Beine eingeschlafen«, sagte ich, »geht gleich wieder.« Ich wippte von einem Fuß auf den anderen, damit das Blut wieder normal zirkulierte.
»Vielen Dank, Hermes Xixum. Das war wunderbar«, sagte die Hippie-Frau. Sie lächelte so selig, als wäre sie von einem erholsamen Wellnessurlaub inklusive Lomi-Lomi-Massage zurückgekehrt.
»Sehr gerne. Freut mich, dass es dir gefallen hat.« Otto trat hinter dem Baum hervor, sodass er uns alle drei sah. Er trug nach wie vor sein Leinenhemd. »Bevor wir zum nächsten Punkt übergehen, interessiert mich eure Erfahrung. Wie hat es sich für euch angespürt?«
Scheiße, die nächste Sharing-Runde.
Eine Recherche ins Ungewisse: „Erzähl es den Bäumen“
Es gibt Romane, da weiß man schon nach den ersten Seiten, wohin die Reise gehen wird. In Edie Calies Roman „Erzähl es den Bäumen“ ist das nicht der Fall. Mit viel Wortwitz begleiten wir die Protagonistin auf einer Recherche, die sie von Wien bis in die letzten Winkel Polens führt.
Klassentreffen sind so eine Sache. Jahre nach dem Schulabschluss treffen Menschen aufeinander, die trotz der „ewig geschworenen Freund*innenschaft“ dann doch gar nicht mehr so viel verbindet. Die einen prahlen mit ihrem vermeintlichen Erfolg und Statussymbolen, während sich die anderen etwas genervt betrinken. Und dann gibt es noch die, die erst gar nicht aufkreuzen. Für die versammelte Gesellschaft stellt natürlich die letztere Gruppe oft das interessanteste Gesprächsthema dar. Wer hat etwas über sie gehört? Was wird wohl aus ihnen geworden sein?
In Edie Calies neuem Roman „Erzähl es den Bäumen“ ist Katharina eine von denen. Die ehemals beliebte Schülerin scheint wie vom Erdboden verschluckt. Des einen Leid, des anderen Freud. In der Hoffnung, Stoff für einen Bestsellerroman im vermeintlichen Verschwinden der ehemaligen Klassenkollegin zu finden, verfolgt die am Burn-Out kratzende Journalistin Martina Hölderlein ihre letzten Spuren.
Gefährliche Sekte oder verstrahlte Hippies?
Bei ihrer Suche nach der Verschollenen stößt sie auf die Esoterik-Gruppe „Brides of Terra“, die Bräute der Erde. Verbundenheit mit der Natur leben die „Brides“ vor allem in Kontakt mit Pflanzen, intensive Meditation mit Bäumen ist das Kommunikationsmittel der Wahl.
„Meditiere zum Baum hin. Strecke deine energetischen Fühler aus und verbinde dich mit der Kraft der Baum-Weisen.“ Hinmeditieren? Ich will mich wegmeditieren! Am besten gleich weglevitieren!
Hartnäckig und doch auch etwas widerwillig bleibt Martina an der sektenähnlichen Truppe dran – die wie Tannenzapfen verstreuten Hinweise gestalten sich als wertvoller nächster Schritt auf der Suche nach Katharina. „Was macht das für einen Unterschied, ob man dem Guru lauscht oder Bäumen?“ „Die Bäume wollen kein Geld!“
Die Recherche nimmt Fahrt auf – lang kann es nun wirklich nicht mehr dauern; den Romanerfolg hat Martina so gut wie im Sack. Bis Katharinas Mutter vom Ableben der Tochter in einem polnischen Urwald erzählt. Der poröse Mutter-Tochter-Kontakt ist lange schon erstarrt. Ein Privatdetektiv offenbarte die Hiobsbotschaft über das Ableben der Tochter.
Stirnrunzelnd und ungläubig über den angeblich Tod an einer Überdosis Marihuana begibt sich Martina - zusammen mit Katharinas ausfindig gemachten Ehemann - auf die Suche in einen der letzten Urwälder Europas – nach Polen.
Eine nachvollziehbare Sinneskrise im Urwald
„Erzähl es den Bäumen“ wird rein aus der Perspektive der Lokaljournalistin Martina erzählt. Ihr Alltag: geprägt von redaktionellem Stress. Ein cholerischer und mieselsüchtiger Chef und einfältige Arbeitsaufträge schlagen sich auf die Psyche der Mitt-Dreißigerin. Den Gedanken an die langersehnte Kündigung schleppt sie stets mit sich - verdichtet, aber doch noch nicht greifbar.
Dafür müsse Martina die Sicherheiten des tristen Jobs aufgeben und in die Unsicherheit abtauchen. Gar nicht so easy. Der Silberschweif am Horizont, der vermeintliche Erfolg als Schriftstellerin, ist der Motor und Motivator der Journalistin. Ist das Ziel endlich bereit, wird alles anders: die Tore der Literaturwelt stehen sperrangelweit offen – nie mehr Lokaljournalismus.
Auflockernd wirken die kurzen Gedichte, die nicht nur die Kapitel des Romans trennen, sondern dadurch auch einen inhaltlichen Bezug schaffen. Poetisch heißt aber keineswegs zwingend überheblich. Zumindest nicht in Edie Calies Roman. Wortwitz, teils derbe, und prägnante nachempfindbare inneren Monologe legen eine glatte Rutsche für die Identifizierung mit der gestressten Journalistin.
„Das ist das Tragische, wenn Erdbewohnerinnen vom Glauben abfallen. […] sie verlieren den Glauben an den Glauben.“ Und die Kirche Kirchensteuer.
Nach und nach entfaltet sich die Reise in Ungewisse. Ausgelutscht, aber dennoch mit einem Funken Wahrheit versehen: Der Weg ist das Ziel. So entpuppt sich die Suche nach der verschollenen Klassenkollegin als eine Suche nach dem inneren Selbst.
Der Roman von Edie Calie liest sich angenehm und schnell, ist aber mehr als nur Strand- und Urlaubslektüre.
FM4, René Froschmayer