€ 21.00

ISBN 978-3-903460-10-2
170 Seiten
gebunden mit SU

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Fabian Wakolbinger

KAISER DER OBDACHLOSEN

Ein sehr origineller Debütroman über einen obdachlosen ehemaligen Käpt’n zu See und einen depressiven Polizisten. Nachdem der Käpt’n zum Kaiser der Obdachlosen gewählt wird, beginnt die Besetzung einer Kirche, die in der Olympiade der Obdachlosen mündet. Wird das Experiment gelingen und alles gut?

An einem schönen Sommertag in einer mittelgroßen Stadt findet eine Wahl der besonderen Art statt. Die Wahl zum Kaiser der Obdachlosen, ausgetragen von der bunten Gruppe der wohnungslosen Bevölkerung der Stadt.
Mit dem Versprechen auf Obdach und Unterkunft gelingt es Gerhard, nach eigenen Angaben ehemaliger Käp‘tn zur See, die Abstimmung für sich zu entscheiden und seine Wählerschaft auf einen Weg zu führen, der in der Besetzung der Kirche mündet.
Zur gleichen Zeit befindet sich der Polizist Leopold Wührl in einer persönlichen und beruflichen Krise, in die ihn polizeidienstliche Anforderungen und gesellschaftliche Widersprüche führten.
Diese beiden Vertreter zweier doch sehr verschiedener gesellschaftlicher Subsysteme treffen kraft ihrer beruflichen Funktionen schlussendlich aufeinander und tragen die „Olympiade der Obdachlosen“ aus. Wer diese gewinnt, bestimmt den Ausgang der Kirchenbesetzung.

Fabian Wakolbingers gesellschaftskritische Erzählung mündet in der Erkenntnis, dass es in einem verpfuschten Leben, ob man nun Ordnungshüter oder Ordnungsbrecher ist, nur das gute Ende gibt, das man sich selbst ausdenkt.

„Wir werden gehen, Herr Kommissar, das werden wir. Wir werden gehen, wenn Sie mich bezwingen, Sie als Vertreter von denen da draußen, Sie als Gesetzeshüter. Wenn Sie mich in einem Wettkampf nach unseren Regeln bezwingen, wenn Sie mich bezwingen, Herr Kommissar, in der Olympiade der Obdachlosen.“

Eigentlich würde man davon ausgehen, dass, wenn Obdachlose schon so etwas wie eine Regierung etablieren, sie dies nicht unbedingt auf monarchische Art und Weise tun. Wahrscheinlich ist das ein Vorurteil, aber es ist halt so ein Gefühl in der Magengrube. Monarchistische Obdachlose?
Irgendwie komisch. Passt nicht ganz. Denn so ziemlich alles, was wir über Obdachlose wissen, schneidet sich mit dem, was wir über Monarchen wissen, die bekanntlich Schloss- und Burgenbesitzer sind. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Obdachlosen und Monarchen, die sich intuitiv herstellen lässt, ist, dass keine der beiden Gruppen Normalarbeitsverhältnisse schätzt. Sonst gibt’s da nichts, was auch nur im Entferntesten nach Zusammenhang aussieht. Allerdings, komplett egal meine Meinung zu dieser Thematik, denn da die Geschichte in der Vergangenheit spielt, hat die Wahl zum Kaiser der Obdachlosen zwangsläufig bereits stattgefunden.
Also nicht weiter wertvolle Zeichen verlieren, auf zur eigentlichen Wahl. Zur Wahl zum Kaiser. Zum Kaiser der Obdachlosen. Auch wieder so ein komischer Widerspruch. Wahl zum Kaiser. Also wenn Wahl, dann eigentlich kein Kaiser, und wenn Kaiser, dann bitte keine Wahl. Aber erklär das mal dieser doch zum Teil bereits sehr angeheiterten Gruppe von aktiven und passiven Wählern aus dem Milieu, das ich bereits mit dem sehr verengenden und unzureichend ausdifferenzierenden Begriff der »Obdachlosen« zusammengefasst habe.
Sicher über hundert Leute waren es, die sich an diesem heißen Sommertag auf einer der wenigen Grünflächen dieser mittelmäßig schönen, mittelgroßen, mittelösterreichischen Stadt versammelt hatten. Zwar hatte die Polizei als Freund und Helfer bereits mehrfach versucht, den Auflauf aufzulösen, ganz gerne auch mit Gewalt, aber leider wurde von den Versammelten nicht der Anfängerfehler gemacht, außergastronomisch erworbenen Alkohol im öffentlichen Raum zu konsumieren. Somit waren der Staatsgewalt die Hände gebunden, und die Polizisten mussten, ein wenig unwillig, den sich beschwerenden, besorgten Müttern erklären, dass sich auch Menschen, die gar nicht schön und teilweise sogar richtig schirch aussahen, im öffentlichen Raum aufhalten durften. Diese toleranten und liberalen Zeitgenossinnen akzeptierten dies natürlich sofort und schrien selbstverständlich nicht noch minutenlang auf die Polizisten ein. Was ihnen denn einfalle, so etwas zu erlauben, dass es nicht akzeptabel sei, auf solche Gesichter schauen zu müssen, dass es unmöglich sei, die Kinder in geographischer Nähe dieser unlauteren Gesellschaft spielen zu lassen, und dass der Gemahl entweder selbst ein Anwalt sei oder zumindest einen kenne und hier garantiert noch mit Folgen zu rechnen sei. Das alles haben diese netten, lieben und verständnisvollen Menschen aber nicht getan, sondern akzeptiert, dass es Menschen auf dieser Welt gibt, die etwas anders aussehen, ein anderes Schicksal erleben und manchmal auch erleiden; und dass es für Kinder sehr wertvoll ist, eine möglichst große Vielfalt, wie Menschen leben, kennenzulernen.
Innerhalb des Parks hatten sich indes nach anfänglichem Chaos und Unstrukturiertheit ein paar mehr oder weniger klar definierte, voneinander abgegrenzte Gruppen herausgebildet.
Zuerst wären da die klassischen Alkoholiker zu nennen, die entweder aufgrund ihres Alkoholismus wohnungslos geworden waren, aufgrund der Wohnungslosigkeit zum Alkoholismus gefunden hatten, oder denen ganz einfach nur der Alkohol sehr am Herzen lag. Ältere Männer meistens, viele mit Bart und langen Haaren; gerne schon ergraut, aber die haarige Fahlheit mit stark ins Rot gehender Gesichtsfarbe ausgleichend. An und für sich nicht unfreundlich, aber doch auf die eigene Abgrenzung bedacht, bildeten sie, auch bedingt durch demographische Merkmale, so etwas wie das Zentrum der Versammlung. Denn bei Obdachlosen gelten dieselben hierarchischen Regeln wie in der Restgesellschaft: Ganz oben hat es sich der weiße, alte Mann eingerichtet, und er macht keine Anstalten, diesen Platz freiwillig aufzugeben.
Daneben hatte sich eine Gruppe mit bei Weitem geringerem Durchschnittsalter versammelt; nicht ohne Hintergedanken so ausgerichtet, dass sie die anwesenden Polizisten genauso gut im nervösen Blick behalten konnten wie potenzielle Laufkundschaft. Opiate und deren Substitute waren ihr Laster, welches sie sich mit dem Verkauf von mit Basilikum gestreckten Stängeln minderwertigsten Grases an erstsemestrige Studenten finanzierten. Da diejenigen von ihnen, die anwesend waren, ihre Dosis bereits erhalten hatten, machten sie einen relativ gelassenen Eindruck. Junge, oberflächlich
betrachtet vergleichsweise gesunde Gesichter, ohne jedes Bewusstsein darüber, wie tief der Abgrund war, zu dessen Rand sie sich gegenseitig drängten.
In einer etwas abgetrennten Ecke hatten es sich die Punks eingerichtet, die bunteste der Gruppen und auch mit Abstand die lauteste. Wobei die Lautstärke nicht das Schlimmste war. Denn auch wenn der Inhalt der Gespräche nicht für die Ohren von, ich sage jetzt mal ganz provokativ, Volksschülern geeignet gewesen wäre, so wurden ihre Worte bedingt durch den großen Prozentsatz von aus Deutschland stammenden Irokesenbesitzern in einer vergleichsweise annehmbaren Sprache vorgetragen. Wenige Dialektausdrücke, korrekte Grammatik, und, was hier als besonders positiv herausgestellt werden soll, kaum Anteile von Rassismus und Sexismus. Umgeben von Hunden und teils mehr, teils weniger kaputten Gitarren und Plastikflaschen Wein ließen sie die Nieten auf ihren Lederjacken gut gelaunt in der Sonne blitzen. An sich gegenüber Regierungen eigentlich kritisch eingestellt, hatten aber auch sie sich diesen Auflauf nicht entgehen lassen wollen. Denn auch ein Punk würde gerne Kaiser sein.
Die meisten der Frauen bildeten suchtmittelübergreifend eine eigene, vage abgegrenzte Gruppe, eine bunte Mischung aus Vertreterinnen der unterschiedlichsten Milieus. Natürlich stand die eine oder andere der älteren Semester bei ihrem männlichen Gegenpart, denn wenn man sich gerade gemeinsam Heroin gekauft hat, dann lässt man den Geschäfts- und Lebenspartner nicht gerne allzu weit aus den Augen. Aber großteils hielten die Frauen bei solchen gemeinschaftlichen Aktivitäten zusammen. Mussten sie auch. Denn Schutz, oder auch nur eine anständige Reaktion vonseiten der Polizei, kann eine wohnungslose Frau nicht wirklich erwarten.
Natürlich ist diese Kurzbeschreibung höchst unzureichend und darf mit Begriffen wie Repräsentativität nicht gemeinsam in der Wohnung schlafen, geschweige denn das Bett teilen. Die Gruppen sind genauso stereotypisch zusammengefasst, wie die Vielzahl von Menschen, die nicht in eine dieser Gruppe passten, ignoriert wurde. Aber da uns nur eine begrenzte Seitenanzahl und kein Budget für Datenerhebungen zur Verfügung stehen, müssen wir mit dieser kläglichen Verkürzung wohl leben.

Trinken, schnorren und im Freien schlafen

An einem Sommertag treffen sich Obdachlose in einem Wiener Park, um ihren Kaiser zu wählen. Aber seit wann haben Wohnungslose monarchische Tendenzen – ist das nicht ein Widerspruch? Beide Gruppen haben eventuell eine Abneigung gegen Normalarbeitszeiten. Uns seit wann wird ein Kaiser überhaupt gewählt? Und was hat der depressive Polizisten Leopold Wührl damit zu tun? Alle Fragen werden in diesem Debütroman beantwortet.

Die Presse, August 2023

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