Vom Loch im Kopf zur schönen Leich’
"Rokko’s Adventures" rückt dem Wiener Underground nun mit einem schönen Sammelband zu Leibe. Ein Buch wie eine Geisterbahnfahrt.
Es gibt Publikationen, um die ist es ewig schade. Wenn Sie jetzt sagen: "Das Feuilleton der Wiener Zeitung", ja gut, das sehen zu unserer großen Demut und unserem Glück ganz viele so. Aber um uns soll es hier nicht gehen. Denn die Publikation, über die nun ein Buch erschienen ist, ist leider schon 2019 verblichen. Die Untergrund-Gazette "Rokko’s Adventures", ein bunt-schrilles aber auch dann wieder monochromatisches Meisterwerk des Schreibdrangs wurde 2007 von Clemens Marschall ("Rokko") und Grafiker Michael Hanisch ("van Diego") gegründet und erschien bis 2019 halbjährlich in gedruckter Form und zwischenzeitlich als vierteiliges ORF-Fernsehmagazin (produziert von David Schalko).
Rokko, Marschalls Alter Ego, gab sich da als rasender Reporter des Untergrunds, dokumentierte in seinen Abenteuern herrlich skurrile Gestalten und bizarre Phänomene vom Rande unserer Gesellschaft. Er porträtierte Menschen, die sich Löcher in den Kopf bohren, menschliche Kanonenkugeln, Exorzisten oder Kinder, die von Tieren aufgezogen werden.
Mit jedem Heft, jedes ein Unikat ganz oft mit individueller Beilage, wird ein Thema aufgemacht, das sonst nicht in den Kanon der medialen Berichterstattung fällt. Und man fragte sich ernsthaft, wo Rokko all diese Menschen hernimmt. Und wo er so verkehrt, um "zufällig" auf sie zu treffen.
Berichtet wurde mitunter über Absonderlichkeiten wie Menschen, die Partys sprengen, indem sie sich selbst in die Luft jagen, sich aus Protest selbst Gliedmaßen abschneiden oder sich mit einer Kartoffel in der Hand an Wiener Kreuzungen stellen, um berühmt zu werden. Außerdem gab es Vor-Ort-Berichterstattungen aus der Wiener Unterwelt, vom Auto-Crash-Rennen, der Kanalisation oder dem heiteren Männerverein Schlaraffia sowie Porträts von Persönlichkeiten wie Hermes Phettberg, Georg Friedrich, Olga Neuwirth, Ronnie Rocket Urini oder Michael Thomas und deren unkonventionellem Zugang zu ihrem Schaffen.
Ein erster Sammelband dieser Reportagen der anderen Art ist nun unter dem Titel "Rokkos Adventures - Menschen Tiere Sensationen" im Eigenverlag erschienen. Weitere Bände sollen in Vorbereitung sein. Beim breiten Schaffen des Autors, der bisweilen auch im Feuilleton dieser, Ihrer, Lieblings-Zeitung schreibt, darf man also gespannt sein.
Von Sozialvoyeurismus ist Rokko dabei weit entfernt, im Gegenteil begegnet er seinen Protagonisten stets mit aufrichtigem Interesse an ihren exzentrischen Lebensentwürfen. In diesem Band versammeln sich die besten Geschichten aus den ersten zehn, längst vergriffenen Ausgaben. Ein Buch, das die B-Seite wie auch die dunklen Ecken der Großstadt Wien in aller Schamlosigkeit dokumentiert.
Wiener Zeitung, Bernhard Baumgartner, 14.5.2023
Buchmarkteinstieg mit Rokko
«Geschichten, an die du sonst nicht rankommst», wie es einmal Andrej Dietrich vom Noise-Rock-Duo Dÿse for¬mulierte, finden sich im Magazin Rokko’s Adventures. Seit dem Gründungsjahr 2007 sind erst 20 Hefte erschie¬nen. Trotzdem, besser deswegen – Stichwort: Verknap¬pungsstrategie – genießen diese Abenteuergeschich¬ten schon ein bisserl Kultstatus. Sonst würde nicht der neugegründete Verlag Glitzer & Grind mit einem Best-of aus den ersten zehn, längst vergriffenen, Nummern der
Rokko’s Adventures in den Büchermarkt, wo heißer als in einer Wrestlinghalle (ein Faible von Rokko) ge¬kocht wird, einsteigen.
Serviert werden Geschichten wie «Weltkrieg am Jau¬sentisch», über Hot-Dog-Wettessen als patriotischer Akt am Independance Day in New York, oder Auto-Crash-Rennen in Lichtenwörth bei Wiener Neustadt. Neben diesen und noch viel abstruseren und abgründigeren Reportagen und Kurzessays, für die Triggerwarnun¬gen nicht überzogen wären, bilden Porträts ein weiteres Fundament: Rokko, promovierter Musikwissenschafter, schenkt sowohl der Jazz-Poetin Ruth Weiss als auch dem 8-jährigen Noise-Trash-Girl Amanda Whitt Aufmerk-samkeit und trifft sich gerne im Wirtshaus mit echten Strizzis wie Walter Gerhard Piranty oder solchen Typen, die Strizzis mimen können, wie Georg Friedrich.
Augustin, Reinhold Schachner, 15.3.2023
Menschen, Tiere, Sensationen: Ein Wiedersehen mit Rokko und seinen Abenteuern
Vom Schädelbohren und Teufelaustreiben: Die Geschichten aus dem Magazin Rokko’s Adventures waren legendär; nun erscheinen Highlights aus den ersten zehn Ausgaben in einem prachtvollen Sammelband.
Was haben Otto Wanz, Ronnie Urini und Olga Neuwirth gemeinsam? Und was eine menschliche Kanonenkugel, ein Exorzist und ein Wiener Kanalräumer? Sie alle bewohnen die Welt von Rokko, einst geboren als Clemens Marschall, mittlerweile bestens bekannt als rasender Reporter des Wiener Untergrunds, als umfassender Kulturkenner und als Mann mit großem Herz für jede Art von Lebensentwurf von Künstlern bis Lebenskünstlern. Es ist keine Neuigkeit, dass das Magazin Rokko’s Adventures mit seinem Motto „Menschen, Tiere, Sensationen“ eine riesige Bereicherung der Zeitschriftenwelt war, ein wunderbares und wunderliches Sammelsurium aus den unglaublichsten und interessantesten Geschichten, die man sich nur denken konnte.
„Es war von der ersten Ausgabe an wichtig, dass verschiedene Themen abgedeckt werden und dass man nie weiß, was auf der nächsten Seite passiert.“ (Rokko)
So sah man 2007 in der ersten Ausgabe des Magazins am Cover die Melvins, eine von Clemens’ Herzensbands, drinnen gab es dann ein Interview mit seinen eigenen Großeltern, eine Story über eine kleine Subkultur, die sich selbst Löcher in die Schädeldecke bohrt zwecks permanenter Bewusstseinserweiterung, und später noch ein Porträt der Band Dÿse. Ähnlich eklektisch und immer neugierig ging es in den kommenden Rokko’s Adventures-Heften weiter; 20 waren es insgesamt, erschienen zwischen 2007 und 2019, mit einigen Sonderausgaben dazwischen in Form von Eigenexkrementen im Glas, eingelegten toten Tierteilen, Ingwerschnaps, Fotoalben, Wrestling Videokassetten und so weiter – allesamt heiß begehrt und längst vergriffen.
Das Magazin selbst gibt es mittlerweile – oder soll man hoffnungsvoll sagen: derzeit – leider nicht mehr, aber Clemens Marschall ist als Buchautor, als Journalist für Ö1, die Wiener Zeitung, Die Zeit und so weiter immer noch der Inbegriff des Begriffs „umtriebig“. Außerdem hat er in den letzten Jahren auch zwei tolle Gastbeiträge für FM4 IM Sumpf gestaltet, ein im wahrsten Sinne des Wortes bezauberndes Hörspiel über eine Zauberer-Convention im britischen Blackpool sowie ein Interview mit Jowe Head von der britischen Band Swell Maps.
Wenig überraschend ist Rokko auch ein großer Musikauskenner. Die CD, die der zweiten Ausgabe seines Magazins beilag, gibt es neuerdings nun auch auf Bandcamp zu hören. Einmal eintauchen in seine Playlist, featuring All-Time-Begleiter*innen wie Bulbul, Philipp Quehenberger und Dÿse - hier entlang:
In den letzten Jahren ist Clemens Marschall vermehrt als Buchautor in Erscheinung getreten, unter anderem mit seinem Abgesang auf die Wiener Beislkultur „Golden Days Before They End“, gemeinsam mit dem Fotografen Klaus Pichler, mit der Veröffentlichung seiner Doktorarbeit unter dem Titel „Avant-Garde from Below“ sowie zuletzt mit „EDITION PRIVAT – Claudias und Rudis Wien intim“ über die Geschichte einer der führenden Pornofilmproduktionsfirmen Österreichs.
Cover Rokko's Adventures Sammelband: Ein Baby mit einem Affenkopf, darüber das Zirkuslogo des Magazins Rokko's Adventures
In Kürze erscheint nun ein neues Buch von Clemens Marschall, genauer gesagt sind es drei Handvoll Highlights aus den ersten zehn Ausgaben von Rokko’s Adventures, vereint in einem prächtigen Sammelband bei dem ganz neu gegründeten Wiener Verlag Glitzer & Grind. Man kann in diesem ersten Band – wer weiß, ob nicht irgendwann noch ein weiterer folgt – noch einmal herrlich eintauchen in die Welt von Wettfressern, Leichenpräparierern und Kindern, die von Tieren aufgezogen wurden. Es gibt ebenso ein Wiedersehen mit dem Exorzisten, mit dem Clemens bis heute regelmäßig Schnitzelessen und Punschtrinken geht, wie auch mit Hermes Phettberg, der über die Jahre zu einem richtigen Freund von Marschall wurde.
„Ich versuche, alle Porträtierten mit Respekt zu begegnen“, erzählt Rokko dazu im FM4 Interview, das man noch bis 2.4.2023 hier Im Sumpf nachhören kann. „Und wenn ich mir nicht sicher bin, dann frage ich nach, ob ich das so drucken kann. Niemand soll sich falsch dargestellt fühlen, ich bemühe mich immer um guten Kontakt zu allen.“ Diese Achtung vor seinen Gesprächpartner*innen und seine ehrliche, niemals sensationalistische Faszination für ihre Lebenswelten machen Clemens Marschall als Schreiber aus, und man folgt den Einladungen in seine Welt nur allzu gerne.
FM4, Katharina Seidler, 31.3.2023
Dann bohr dir doch ein Loch ins Knie!
Streifzüge durch die Unterwelt: Ein Sammelband huldigt dem Kultmagazin „Rokko’s Adventures“.
Schon nach wenigen Seiten geht „Rokko’s Adventures“ dorthin, wo es wehtut, also unter die Schädeldecke. In einem Beitrag über die selten gewordene Praxis des therapeutischen Schädelbohrens, wissenschaftlich: Trepanation (zu Risiken und Nebenwirkungen lieber nicht bei Arzt oder Apotheker nachfragen), gehen da gleich mehrere Türen der Wahrnehmung auf; nicht hinter allen riecht es gut, aber genau darum geht es hier ja. Es ist ein Auftakt nach Maß für ein irrwitziges Panoptikum: Von 2007 bis 2019 erschien das Magazin „Rokko’s Adventures“ ungefähr halbjährlich, der vorliegende Band versammelt Highlights aus den ersten zehn, längst vergriffenen Ausgaben. Der Journalist Clemens Marschall, aktiv unter anderem für Ö1, die „Wiener Zeitung“, „Zeit“ und profil, betrieb darin Underground-Forschung im allerbesten Sinn, schrieb Porträts subversiver Exzentriker, wie über Schauspieler Georg Friedrich, den katholischen Sadomaso-Propheten Hermes Phettberg oder die österreichisch-amerikanische Poetin Ruth Weiss; berichtete in Reportagen aus der Wiener Unterwelt, schrieb Geschichten über Praterstrizzis und menschliche Kanonenkugeln. „Die vor Jahren gestellte Frage, ob wir Teil der Lösung oder des Problems sind, kann ich mittlerweile mit einemklaren JA beantworten“, meint Marschall. Man kann ihm guten Gewissens und offenen Schädels zustimmen.
Profil, Sebastian Hofer, 28.4.2023