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€ 24.00
ISBN 978-3-903460-14-0
220 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag, Leseband
Erscheint September 2023
ICH UND KEHLMANN
Was ist Wahrheit? Was ist Wirklichkeit? Wem können wir noch trauen?
Mit seinem letzten Geld reist Kevin Fellner aus der österreichischen Provinz nach Frankfurt am Main zur Buchmesse an. Im Gepäck hat er das Manuskript seines neuen Romans, der sicher ein Sensationserfolg wird, Fellner freut sich auf seinen Termin mit der Dame von Rowohlt. Endlich wird er so berühmt sein wie Daniel Kehlmann, wahrscheinlich aber noch berühmter.
Voller Tatendrang und Selbstbewusstsein erreicht Kevin Fellner sein Hotel in Frankfurt. Der hochtalentierte Autor und Kehlmann-Experte wird endlich den Vertrag für seinen Roman „Ich und Kehlmann“ unterschreiben. Kehlmann hatte seine Zeit, jetzt aber kommt die Zeit von Kevin Fellner. Der Vorfreude nicht genug, wohnt Kehlmann zufällig auch im selben Hotel, wenn das kein magisches Vorzeichen ist, ihm in seinem Zimmer einen Besuch abzustatten?
Der Titel des Romans „Ich und Kehlmann“ spielt auf Daniel Kehlmanns Satire „Ich und Kaminski“ an. Ein eitler, sich selbst maßlos überschätzender Ich-Erzähler versucht sein beinahe fertiges Manuskript bei einem renommierten Verlag unterzubringen. Auf der Buchmesse will er endlich sein Idol und Vorbild persönlich kennenlernen, das verspricht eine tolle und beiderseits inspirierende Freundschaft zu werden.
Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung treiben hier erneut ihr heimtückisches
Spiel. Wird Fellner die Buchbranche überzeugen können?
In Christoph Salchers humorvollem und gesellschaftskritischem Roman entsteht zunehmend eine Diskrepanz zwischen Fellners Wahrnehmung, seiner maßlosen Selbstüberschätzung und der Realität. In diesem Spannungsverhältnis
besteht die Komik des Romans, der als eine satirische Darstellung über die Sehnsucht nach Erfolg, nach Anerkennung, nach Heimat und Zugehörigkeit gelesen werden kann.
Mit tiefer Bruststimme stellte ich mich vor. Der Junge, mehrere Pickel im Gesicht, besonders auf der Stirn und um die Nase herum, war in seinem roten Lederfauteuil offenbar eingeschlafen. Jetzt richtete er sich langsam auf. Schlaftrunken rieb er sich mit beiden Fäusten die Augen. Dann schaute er mich an. Ich schätzte ihn auf nicht älter als siebzehn Jahre. Vom Liegen waren seine buschigen schwarzen Locken um den Kopf herum an mehreren Stellen eingedrückt. Ich wiederholte meinen Namen und fragte mich, wer dieser Knabe eigentlich war.
Gerade als ich meinen Namen ein drittes Mal sagen wollte – womöglich verstand er meine Sprache, meine mundartliche Färbung nicht –, behauptete er, Jürgen Schneider zu sein. Er habe über eine Stunde hier im Foyer auf mich gewartet und dabei ununterbrochen versucht, im Sitzen nicht einzuschlafen. Weshalb ich so spät käme, wollte er wissen. Punkt 14 Uhr sei
ausgemacht gewesen. Er habe ununterbrochen versucht, wiederholte er weiterhin sehr aufgebracht, aber mehr zu sich selbst als zu mir, im Sitzen nicht einzuschlafen. Er kenne jetzt jeden Artikel der heutigen SZ, und zwar in- und auswendig. Erst vor wenigen Augenblicken, versicherte er, sei er dann eben doch eingeschlafen.
An dieser Stelle wollte ich etwas erwidern, ihn darauf aufmerksam machen, dass er mit dem vereinbarten Zeitpunkt falsch lag, doch ließ mich der bedauernswerte Bursche nicht mehr zu Wort kommen. Er sei Jürgen Schneider, fuhr er fort, Azubi beim Rowohlt Verlag. Er brauche jetzt dringend einen Kaffee, schwarz, ohne Zucker. Ohne Milch und ohne Zucker. Das betonte er eindringlich. Kaffee trinke er nämlich schwarz, sagte er, immer. Man habe ihm von höherer Stelle aus mitgeteilt, heute um 14 Uhr hier auf mich treffen zu sollen.
Nach einer kurzen Pause und einem beiläufigen Blick auf seine zitronengelbe Swatch meinte er, ich sei also wohl etwas zu spät.
Außerordentlich verärgert darüber, dass es Frau Thurner nicht möglich gewesen war, mir persönlich mitzuteilen, bei unserem vereinbarten Gespräch verhindert zu sein, ließ ich mich in den roten Lederfauteuil fallen, der dem des Praktikanten am nächsten stand. Dann dachte ich einen Moment lang nach. Vermutlich war die Tatsache, dass dem jungen Mitarbeiter irrtümlicherweise der falsche Zeitpunkt genannt worden war, in dem Umstand zu finden, dass Judith Thurner gerade unter unsagbarem Stress stand. Es war schließlich das Wochenende der Frankfurter Buchmesse. Das bedeutete eine Ausnahmesituation für alle Involvierten, sogar für all jene, dachte ich, die sich erst am Anfang ihrer Karriere oder am äußersten Rand des Literaturbetriebs befanden: wie dieser Jürgen Schneider hier vor mir. Man stand in diesen Tagen in dieser Stadt eben unter enormer Belastung. Es geht für viele um viel, dachte ich, wieder einmal geht es für alle um alles.
Wir saßen etwa anderthalb Meter voneinander entfernt. Doch Stress als alleinige Entschuldigung wollte ich nicht gelten lassen. Immerhin war ich extra aus Zell am See angereist. Ich freute mich auf die Spesen- beziehungsweise Fahrtkostenabrechnung und dachte an mein verbogenes Brillengestell. »Diese Absage wird ihr noch leidtun«, sagte ich und addierte im Kopf schon einmal das Kilometergeld mit den Preisen meines Optikers im Pinzgau. »Das wird eine Rechnung«, ergänzte ich.
Zudem missfiel es mir sehr, die vertraglichen Eckpunkte nun mit diesem minderjährigen Sprössling, einem der untersten Mitarbeiter im Verlag, vermutlich einem der letzten, allerletzten Assistenzhilfskräfte, aushandeln zu müssen. Dennoch war er jetzt mein direkter Ansprechpartner, das begriff ich sofort, meine unmittelbare Verbindung zu Judith Thurner – und damit zu Rowohlt.
»Kannst du mir«, fuhr ich fort und beugte mich dabei mit meinem Oberkörper langsam, sowohl elegant und geschmeidig als auch bestimmt und vehement, im Fauteuil nach vorne. Wie James Dean, dachte ich, wie Ralf Tanner in der einen Bar, »die Handynummer von Frau Thurner geben?«
»Das ist völlig ausgeschlossen«, entgegnete der Jüngling. Und er fragte mich, seit wann wir per Du seien.
Natürlich, dachte ich unverzüglich, da hatte er seinen Satz noch gar nicht zu Ende gesprochen, natürlich, das war eine unglückliche Formulierung meinerseits gewesen. Ich räusperte mich und korrigierte: »Können Sie mir ihre Handynummer geben?«
»Niemals«, war die Antwort.
»Ah«, machte ich nur. »Dann werden das Notwendige, das Vertragliche eben wir beide regeln. Inwieweit bist du«, sagte ich.
»Sie!«
Ich korrigierte mich sofort. »Sie. Also Sie. Inwieweit sind Sie bezüglich meines Falls informiert?«
Der Praktikant gähnte. Mitten auf seiner Stirn war ein rot angeschwollener Pickel. Er tat mir leid. Alle Jugendlichen konnten einem nur leidtun, sie waren ihren Trieben, ihren körperlichen Gelüsten ausgeliefert. Wann würde er wohl zum ersten Mal ein Mädchen ausführen, fragte ich mich, ein Mädchen aus seiner Klasse zum ersten Mal zu einem Blockbuster ins Kino begleiten, ein paar Jahre später dann zu Brecht oder Jelinek ins Theater? Er hatte sich dieses Praktikum mit Sicherheit anders vorgestellt, wahrscheinlich wurde er nicht einmal bezahlt. Bestimmt hatte man ihm beim Vorstellungsgespräch gesagt, er werde wichtige Erfahrungen fürs Leben sammeln, und die seien nun einmal wertvoller als alles Geld der Welt. Der wird sein Lehrgeld noch bezahlen, dachte ich, was für ein Naivling! Denn ich galt allgemeinhin als ein durchaus unangenehmer, mitunter sehr hartnäckiger Gesprächspartner. Es war nicht leicht, mit mir Verhandlungen zu führen. Um im Literaturbetrieb Fuß zu fassen, sagte ich mir, benötigte man eben ein dickes Fell.