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€ 25.00
ISBN 978-3-903460-16-4
330 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag, Leseband
Der weiße Hai
Drei Männer im Kampf gegen einen weißen Hai, der für die betuchten
Besucher eines beliebten Badestrands eine Bedrohung darstellt. Es sind aber nicht nur Menschenleben in Gefahr, sondern vielmehr der gute Ruf des beschaulichen Örtchens Amity, das jedes Jahr mehr Touristen anlockt. Der berühmte Roman wird 50 Jahre alt.
Als eine junge Frau nachts von einem Hai getötet wird, erkennt Polizeichef Martin Brody als Einziger die Gefahr, doch er muss dem Druck der ansässigen Geschäftsleute und des Bürgermeisters nachgeben und den Unglücksfall verschweigen. Der Leichtsinn bleibt nicht ohne Folgen. Währenddessen verliebt sich Brodys Ehefrau in den smarten Meeresbiologen Matt Hooper, und Brody hat bald an allen Fronten zu kämpfen, zuletzt Auge um Auge mit dem Hai.
„Wir werden ein größeres Boot brauchen.“ Der Bestseller (und Peter Benchleys Debütroman), der die Filmgeschichte verändern sollte, feiert 2024 sein fünfzigstes Jubiläum. Im Gegensatz zum Film, der sich fast ausschließlich auf das Tier als Bedrohung konzentriert, geht es im Roman um viel mehr: um geldgierige Immobilienhaie, um korrupte Politiker, um Stadtpolitik. Und um den allsommerlichen Strom an Touristen, der viel Geld einbringt und nicht versiegen darf.
Im Frühjahr 2024 feiert der Roman, dessen Verfi lmung Filmgeschichte geschrieben hat, sein 50-jähriges Jubiläum.
Der mächtige Fisch bewegte sich, angetrieben von kurzen Schlägen seines sichelförmigen Schwanzes, ruhig durch die nächtliche See. Sein Maul war gerade weit genug offen, um das Wasser über die Kiemen rauschen zu lassen. Sonst war da kaum eine Bewegung: eine gelegentliche Korrektur des offenbar ziellosen Kurses durch leichtes Heben oder Senken der Brustflosse – wie ein Vogel durch das Senken eines Flügels und das Heben des anderen die Flugrichtung ändert. Die Augen waren in der Dunkelheit blind, und die anderen Sinne übermittelten dem kleinen primitiven Gehirn nichts Außergewöhnliches. Der Fisch hätte auch schlafen können, die Bewegung war ihm über unzählige Millionen Jahre instinktiver Kontinuität eingegeben: Da ihm die Schwimmblase, wie andere Fische sie haben, und die sich hin und her bewegenden Hautlappen, um sauerstoffhaltiges Wasser durch seine Kiemen zu stoßen, fehlten, überlebte er nur durch Bewegung. Hielte er einmal an, würde er auf den Grund sinken und an Sauerstoffmangel sterben.
Das Land war fast so dunkel wie das Wasser, denn die Nacht war mondlos. Alles, was das Meer von der Küste trennte, war ein langer, gerader Strand – so weiß, dass er schimmerte. Aus einem Haus hinter den grasfleckigen Dünen warfen Lichter einen gelben Schein auf den Sand. Die Haustür öffnete sich, und ein Mann und eine Frau traten auf die hölzerne Veranda hinaus. Einen Augenblick blieben sie stehen und sahen auf das Meer, dann umarmten sie sich kurz und sprangen die paar Stufen hinunter in den Sand. Der Mann war betrunken, er stolperte auf der untersten Stufe. Die Frau nahm ihn lachend an der Hand, und gemeinsam liefen sie zum Strand.
»Erst mal schwimmen«, sagte die Frau, »damit du einen klaren Kopf bekommst.«
»Mein Kopf ist egal«, entgegnete der Mann. Lachend fiel er rückwärts in den Sand, zog die Frau mit sich. Sie fummelten an ihren Kleidern herum, umarmten sich und warfen sich mit drängender Gier auf dem kalten Sand hin und her. Danach legte der Mann sich zurück und schloss die Augen. Die Frau sah ihn lächelnd an: »Na, wie wär’s jetzt mit einem kühlen Bad?«, fragte sie.
»Geh du nur, ich warte hier auf dich.«
Die Frau stand auf und lief zum Wasser, bis ihr die sanfte Brandung über die Knöchel spülte. Das Wasser war kälter als die Nachtluft, denn es war erst Mitte Juni. Sie rief zurück: »Willst du wirklich nicht mitkommen?« Aber von dem schlafenden Mann kam keine Antwort.
Sie trat ein paar Schritte zurück und rannte dann ins Wasser. Erst machte sie ausholende, grazile Schritte, dann aber schlug ihr eine kleine Welle gegen das Knie. Sie schwankte, bekam wieder festen Tritt und warf sich über die nächste Welle. Das Wasser ging ihr erst bis zu den Hüften, also blieb sie stehen, schüttelte sich das Haar aus den Augen und ging weiter, bis das Wasser ihre Schultern bedeckte. Dann schwamm sie los – mit den ruckartigen, den Kopf starr übers Wasser haltenden Bewegungen einer Ungeübten.
Hundert Meter von der Küste entfernt spürte der Fisch eine Veränderung im Rhythmus des Wassers. Er sah die Frau nicht, konnte sie auch noch nicht riechen. Entlang seines Körpers lief eine Reihe dünner Kanäle, die mit Schleim gefüllt und mit Nervenenden übersät waren – diese Nerven nahmen jetzt Schwingungen wahr und signalisierten sie dem Hirn. Der Fisch nahm zur Küste hin Kurs auf.
Die Frau schwamm weiter vom Strand weg, pausierte ab und zu, um ihre Position an den Lichtern des Hauses auszumachen. Die Strömung war so träge, dass sie sich nicht allzu weit vom Strand entfernt hatte. Sie wurde müde, ruhte sich einen Augenblick aus, trat Wasser und machte sich dann auf den Weg zurück zur Küste.
Die Schwingungen waren jetzt stärker, und der Fisch erkannte Beute. Die Bewegungen seines Schwanzes wurden schneller und trieben den Riesenleib mit einer Geschwindigkeit vorwärts, die die winzigen phosphoreszierenden Tiere im Wasser aufwühlte, sie zum Glühen brachte und einen Funkenschleier über den Fisch zog. Der Fisch rückte dicht an die Frau heran und preschte vier Meter seitlich und zwei Meter unter der Oberfläche an ihr vorbei. Sie spürte nur eine Druckwelle, die sie im Wasser emporzuheben und wieder nach unten fallen zu lassen schien. Sie hörte zu schwimmen auf und hielt den Atem an. Da sie nichts weiter spürte, nahm sie ihre ruckartigen Schwimmstöße wieder auf.
Jetzt roch der Fisch sie, und die Schwingungen – nun unregelmäßig und heftig – signalisierten Gefahr. Der Fisch begann dicht an der Oberfläche zu kreisen. Seine Seitenflosse peitschte das Wasser, und sein hin und her schlagender Schwanz durchschnitt die glasige Oberfläche mit einem zischenden Geräusch. Zitternde Bewegungen durchliefen seinen Leib.
Zum ersten Mal spürte die Frau Angst, wusste aber nicht, warum. Adrenalin schoss durch ihren Körper, erzeugte prickelnde Hitze und trieb sie an, schneller zu schwimmen. Sie schätzte, fünfzig Meter von der Küste entfernt zu sein. Sie konnte die Linie weißen Schaums sehen, wo die Wellen auf den Strand stürzten. Sie sah die Lichter im Haus, und einen tröstlichen Augenblick lang glaubte sie, jemanden an einem der Fenster vorbeigehen zu sehen.
Der Fisch war etwa zwölf Meter seitlich von ihr entfernt, als er plötzlich nach links drehte, dicht unter die Oberfläche tauchte und – nach zwei schnellen Schwanzschlägen – auf ihr war. Zuerst dachte die Frau, sie hätte sich das Bein an einer Klippe oder einem Stück Treibholz aufgerissen. Sie spürte keinen Schmerz, nur einen heftigen Ruck rechts unten. Sie griff hinunter, um ihren Fuß zu betasten, trat dabei Wasser mit dem linken Bein, um den Kopf oben zu behalten, und suchte mit der linken Hand in der Schwärze. Sie konnte ihren Fuß nicht finden. Sie griff weiter nach oben – und ein Anfall von Übelkeit und Schwindel überwältigte sie.
Ihre suchenden Finger hatten zersplitterte Knochen und zerfetztes Fleisch gefunden. Sie begriff jetzt, dass der warme, pulsierende Strom auf ihren Fingern in dem kalten Wasser ihr eigenes Blut war. Schmerz und Panik überfielen sie gleichzeitig. Sie riss ihren Kopf zurück und ihrer Kehle entfuhr ein schrecklicher Schrei. Der Fisch hatte abgedreht. Er schluckte das Bein der Frau, ohne zu kauen. Knochen und Fleisch passierten den riesigen Schlund in einer einzigen Zuckung. Jetzt kehrte der Fisch wieder um, fand sein Ziel in dem Blutstrom, der sich aus der Oberschenkelarterie der Frau ergoss, ein Signalfeuer, so klar und zuverlässig wie ein Leuchtturm in einer wolkenlosen Nacht. Diesmal attackierte er sie von unten. Er stieß mit aufgerissenem Maul unter der Frau empor. Der große kegelförmige Kopf traf sie wie eine Lok, stieß sie nach oben, über die Wasseroberfläche hinaus. Die Kiefer schlossen sich um ihren Oberkörper, zermalmten Knochen, Fleisch und Organe zu Brei. Der Fisch klatschte mit der Frau im Maul und mit donnerndem Getöse zurück ins Wasser, in einem bunten Strahl ergossen sich Schaum und Blut und die Lichter der Nacht.
Unter der Oberfläche schüttelte der Fisch den Kopf hin und her, seine dreieckigen gezackten Zähne sägten sich durch die paar Sehnen, die noch Widerstand boten. Die Leiche fiel auseinander. Der Fisch schluckte, wendete dann, um weiterzufressen. Sein Hirn zeigte immer noch die Signale der nahen Beute an. Das Wasser war mit Blut und Fleischfetzen durchsetzt, und der Fisch konnte Signal von Substanz nicht unterscheiden. Er schoss in der sich auflösenden Wolke von Blut vor und zurück, öffnete und schloss dabei sein Maul – aufs Geratewohl nach einem Bissen schnappend. Doch inzwischen hatten sich die meisten Teile der Leiche verstreut. Einige sanken langsam, landeten auf sandigem Grund, wo sie sich träge in der Strömung bewegten. Ein paar trieben unter der Oberfläche davon, glitten in der Wellenbewegung dahin, die in der Brandung endete.
Vom Raubfisch zum Menschenfresser
Als „Der weiße Hai“ 1975 in die Kinos kam, brach er schnell alle Rekorde. Bis heute hat der Film mehr als zwei Milliarden Dollar eingespielt und gilt als Auftakt von Hollywoods Blockbuster-Ära. Seinem Regisseur Steven Spielberg, damals 28 Jahre alt, trug er den Ruf eines Kinogenies ein, wobei aber nie vergessen wird, die Rolle der neuen Marketingstrategien hervorzuheben. Strategien, von denen auch der Autor der 1974 erschienenen Romanvorlage profitierte. Als „brillante cross-Promotion“ durch Taschenbuchverlag und Filmgesellschaft bezeichnete Peter Benchley, der Autor des Romans, die Werbekampagne, die das Buch zum Weltbestseller machte, mit rund 20 Millionen verkauften Exemplaren.
Spielbergs Film hatte aber noch eine andere Nachwirkung. Bei seiner Erwähnung rollen Haiforscher und Tierschützerin mit den Augen und winken ab. Die Darstellung des Hais im Film als aktiver, attackierender Maniac gehörte zu den zentralen Horrormomenten – hatte und hat aber nichts mit dem wirklichen Verhalten von Haien zu tun.
Wie sehr Spielbergs Adaptation den Intentionen Benchleys widerspricht, lässt sich an der neu erschienenen deutschen Ausgabe des Romans nachvollziehen. Sie enthält neben einem Vorworts Benchleys, der 2006 im Alter von 65 Jahren gestorben ist, einen Brief an einen der Produzenten des Films, den er während der Produktion 1974 schrieb. Darin äußert Benchley sein grundlegendes Unverständnis für die Entscheidung, das Tier als „bösartigen Hai“ darzustellen. Er habe zeigen wollen, dass ein Hai keineswegs „gestört“ sein müsse, um zum Menschenfresser zu werden. Mit dieser einsicht befand sich Benchley auf der Höhe der Wissenschaft seiner Zeit.
Die Siebzigerjahre waren das Jahrzehnt der Verhaltensbiologie, der Ethologie, und eines ihrer öffentlichkeitswirksamen Themen waren aggressive Verhaltensmuster. Die Ethologie wollte aggressives Verhalten wie etwa die das Jagen begleitende Gewalttätigkeit als normal, als zur Grundausstattung eines jeden Lebewesens gehörig, begreifen und nicht als abartig oder deviant. Darum ging es auch Benchley, der nach dem Erfolg des Romans zu einem aktiven Meeres- und Haischützer wurde.
Indem Spielberg „seinen“ Hai pathologisierte, war er aber ebenfalls nicht aus der Zeit gefallen. Denn in der Biologie wie der Psychologie gab es und gibt es immer noch Positionen, die etwa Tötungsgewalt gegenüber Artgenossen als krankhaftes oder abweichendes Verhalten beschreiben.
Entscheidend für Spielbergs Version der Geschichte war nicht nur das Tilgen aller ambivalenzen. Wie es dazu kam, schildert Benchley, der auch als Drehbuchautor engagiert wurde. Richard Zanuck, einer der Produzenten, habe klare Vorgaben gemacht. Der Film solle, so Zanuck, eine reine Abenteuergeschichte sein, mit geradlinigem Verlauf. Deshalb solle Benchley auf alle romantische Ablenkung und auf Mafia-Anspielungen verzichten. Mit der Mafia waren vor allem Immobilienspekulanten gemeint, die den kleinen, noblen Ferienort an der Ostküste Amerikas bedrängen und im Roman nicht so gut wegkommen.
Und geradlinig sind schon die erste Seiten der Geschichte nicht. Benchley beschreibt, wie eine Frau abends zur Abkühlung im Meer schwimmen geht. Ein Hai, der auch dort schwimmt, beginnt, eine Veränderung im Wasser wahrzunehmen, und Benchley versucht, das Geschehen aus der Wahrnehmungs- und Empfindungswelt des Tiers zu erfassen.
Wenn man davon absieht, dass er das Gehirn des Fisches als „primitiv“ bezeichnet, gelingt ihm das auch sehr gut. So kommt der Hai, der, weil er keine Schwimmblase hat, andauernd in Bewegung sein muss, um nicht auf den Grund abzusinken, als ein ruhig schwimmendes und wunderbar an den Wasserwiderstand angepasstes Lebewesen in den Blick, das „über unzählige Millionen Jahre instinktiver Kontinuität“ (Benchley) die Meere bevölkert. Dieser Lebensform galt Benchleys Interesse, seit er seine Kindheit im Sommer auf Nantucket, einem der Zentren der Walfangindustrie des 19. Jahrhunderts, verbracht hatte. Das Meer um Nantucket war noch bis in die Fünfzigerjahre reich von Sand-, Blau- und Makohaien besiedelt.
Von Haiangriffen blieb er verschont. Mit diesen, die immer eine Meldung wert sind, wenn sie zu tödlichen Verletzungen führen, befasste sich Benchley erst später bei der Arbeit an seinem Buch. Da er nicht übersehen konnte, dass das Wissen über Haie im allgemeinen und über den weißen hai im Besonderen sehr dünn war, sammelte er alle Geschichten, die er finden konnte, um seine eigene Version nah an der Realität zu halten.
Seine Maxime: Jede Handlung, jedes Verhalten seines Hais musste tatsächlich bei einem realen Hai schon mal beobachtet und beschrieben worden sein. Zumindest äußerlich hielt er sich daran, auch wenn er dem Fisch Gründe für dessen Handlungen unterschob, für die es keinen Beleg gab. Wahrscheinlich auch deshalb kam er ein paar Jahre nach dem Riesenerfolg von „Jaws“, so der Originaltitel von Buch und Film, zu dem Schluss, dass er den Roman so nicht noch einmal schreiben würde. Im Unterschied zum Film enthält er aber so viel über das reale Leben der Haie, dass man seine Wiederveröffentlichung nur begrüßen kann.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Cord Riechelmann, Nov. 2023