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€ 25.00
ISBN 978-3-903460-16-4
330 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag, Leseband
Erscheint September 2023
Der weiße Hai
Drei Männer im Kampf gegen einen weißen Hai, der für die betuchten
Besucher eines beliebten Badestrands eine Bedrohung darstellt. Es sind aber nicht nur Menschenleben in Gefahr, sondern vielmehr der gute Ruf des beschaulichen Örtchens Amity, das jedes Jahr mehr Touristen anlockt. Der berühmte Roman wird 50 Jahre alt.
Als eine junge Frau nachts von einem Hai getötet wird, erkennt Polizeichef Martin Brody als Einziger die Gefahr, doch er muss dem Druck der ansässigen Geschäftsleute und des Bürgermeisters nachgeben und den Unglücksfall verschweigen. Der Leichtsinn bleibt nicht ohne Folgen. Währenddessen verliebt sich Brodys Ehefrau in den smarten Meeresbiologen Matt Hooper, und Brody hat bald an allen Fronten zu kämpfen, zuletzt Auge um Auge mit dem Hai.
„Wir werden ein größeres Boot brauchen.“ Der Bestseller (und Peter Benchleys Debütroman), der die Filmgeschichte verändern sollte, feiert 2024 sein fünfzigstes Jubiläum. Im Gegensatz zum Film, der sich fast ausschließlich auf das Tier als Bedrohung konzentriert, geht es im Roman um viel mehr: um geldgierige Immobilienhaie, um korrupte Politiker, um Stadtpolitik. Und um den allsommerlichen Strom an Touristen, der viel Geld einbringt und nicht versiegen darf.
Im Frühjahr 2024 feiert der Roman, dessen Verfi lmung Filmgeschichte geschrieben hat, sein 50-jähriges Jubiläum.
Der mächtige Fisch bewegte sich, angetrieben von kurzen Schlägen seines sichelförmigen Schwanzes, ruhig durch die nächtliche See. Sein Maul war gerade weit genug offen, um das Wasser über die Kiemen rauschen zu lassen. Sonst war da kaum eine Bewegung: eine gelegentliche Korrektur des offenbar ziellosen Kurses durch leichtes Heben oder Senken der Brustflosse – wie ein Vogel durch das Senken eines Flügels und das Heben des anderen die Flugrichtung ändert. Die Augen waren in der Dunkelheit blind, und die anderen Sinne übermittelten dem kleinen primitiven Gehirn nichts Außergewöhnliches. Der Fisch hätte auch schlafen können, die Bewegung war ihm über unzählige Millionen Jahre instinktiver Kontinuität eingegeben: Da ihm die Schwimmblase, wie andere Fische sie haben, und die sich hin und her bewegenden Hautlappen, um sauerstoffhaltiges Wasser durch seine Kiemen zu stoßen, fehlten, überlebte er nur durch Bewegung. Hielte er einmal an, würde er auf den Grund sinken und an Sauerstoffmangel sterben.
Das Land war fast so dunkel wie das Wasser, denn die Nacht war mondlos. Alles, was das Meer von der Küste trennte, war ein langer, gerader Strand – so weiß, dass er schimmerte. Aus einem Haus hinter den grasfleckigen Dünen warfen Lichter einen gelben Schein auf den Sand. Die Haustür öffnete sich, und ein Mann und eine Frau traten auf die hölzerne Veranda hinaus. Einen Augenblick blieben sie stehen und sahen auf das Meer, dann umarmten sie sich kurz und sprangen die paar Stufen hinunter in den Sand. Der Mann war betrunken, er stolperte auf der untersten Stufe. Die Frau nahm ihn lachend an der Hand, und gemeinsam liefen sie zum Strand.
»Erst mal schwimmen«, sagte die Frau, »damit du einen klaren Kopf bekommst.«
»Mein Kopf ist egal«, entgegnete der Mann. Lachend fiel er rückwärts in den Sand, zog die Frau mit sich. Sie fummelten an ihren Kleidern herum, umarmten sich und warfen sich mit drängender Gier auf dem kalten Sand hin und her. Danach legte der Mann sich zurück und schloss die Augen. Die Frau sah ihn lächelnd an: »Na, wie wär’s jetzt mit einem kühlen Bad?«, fragte sie.
»Geh du nur, ich warte hier auf dich.«
Die Frau stand auf und lief zum Wasser, bis ihr die sanfte Brandung über die Knöchel spülte. Das Wasser war kälter als die Nachtluft, denn es war erst Mitte Juni. Sie rief zurück: »Willst du wirklich nicht mitkommen?« Aber von dem schlafenden Mann kam keine Antwort.
Sie trat ein paar Schritte zurück und rannte dann ins Wasser. Erst machte sie ausholende, grazile Schritte, dann aber schlug ihr eine kleine Welle gegen das Knie. Sie schwankte, bekam wieder festen Tritt und warf sich über die nächste Welle. Das Wasser ging ihr erst bis zu den Hüften, also blieb sie stehen, schüttelte sich das Haar aus den Augen und ging weiter, bis das Wasser ihre Schultern bedeckte. Dann schwamm sie los – mit den ruckartigen, den Kopf starr übers Wasser haltenden Bewegungen einer Ungeübten.
Hundert Meter von der Küste entfernt spürte der Fisch eine Veränderung im Rhythmus des Wassers. Er sah die Frau nicht, konnte sie auch noch nicht riechen. Entlang seines Körpers lief eine Reihe dünner Kanäle, die mit Schleim gefüllt und mit Nervenenden übersät waren – diese Nerven nahmen jetzt Schwingungen wahr und signalisierten sie dem Hirn. Der Fisch nahm zur Küste hin Kurs auf.
Die Frau schwamm weiter vom Strand weg, pausierte ab und zu, um ihre Position an den Lichtern des Hauses auszumachen. Die Strömung war so träge, dass sie sich nicht allzu weit vom Strand entfernt hatte. Sie wurde müde, ruhte sich einen Augenblick aus, trat Wasser und machte sich dann auf den Weg zurück zur Küste.
Die Schwingungen waren jetzt stärker, und der Fisch erkannte Beute. Die Bewegungen seines Schwanzes wurden schneller und trieben den Riesenleib mit einer Geschwindigkeit vorwärts, die die winzigen phosphoreszierenden Tiere im Wasser aufwühlte, sie zum Glühen brachte und einen Funkenschleier über den Fisch zog. Der Fisch rückte dicht an die Frau heran und preschte vier Meter seitlich und zwei Meter unter der Oberfläche an ihr vorbei. Sie spürte nur eine Druckwelle, die sie im Wasser emporzuheben und wieder nach unten fallen zu lassen schien. Sie hörte zu schwimmen auf und hielt den Atem an. Da sie nichts weiter spürte, nahm sie ihre ruckartigen Schwimmstöße wieder auf.
Jetzt roch der Fisch sie, und die Schwingungen – nun unregelmäßig und heftig – signalisierten Gefahr. Der Fisch begann dicht an der Oberfläche zu kreisen. Seine Seitenflosse peitschte das Wasser, und sein hin und her schlagender Schwanz durchschnitt die glasige Oberfläche mit einem zischenden Geräusch. Zitternde Bewegungen durchliefen seinen Leib.
Zum ersten Mal spürte die Frau Angst, wusste aber nicht, warum. Adrenalin schoss durch ihren Körper, erzeugte prickelnde Hitze und trieb sie an, schneller zu schwimmen. Sie schätzte, fünfzig Meter von der Küste entfernt zu sein. Sie konnte die Linie weißen Schaums sehen, wo die Wellen auf den Strand stürzten. Sie sah die Lichter im Haus, und einen tröstlichen Augenblick lang glaubte sie, jemanden an einem der Fenster vorbeigehen zu sehen.
Der Fisch war etwa zwölf Meter seitlich von ihr entfernt, als er plötzlich nach links drehte, dicht unter die Oberfläche tauchte und – nach zwei schnellen Schwanzschlägen – auf ihr war. Zuerst dachte die Frau, sie hätte sich das Bein an einer Klippe oder einem Stück Treibholz aufgerissen. Sie spürte keinen Schmerz, nur einen heftigen Ruck rechts unten. Sie griff hinunter, um ihren Fuß zu betasten, trat dabei Wasser mit dem linken Bein, um den Kopf oben zu behalten, und suchte mit der linken Hand in der Schwärze. Sie konnte ihren Fuß nicht finden. Sie griff weiter nach oben – und ein Anfall von Übelkeit und Schwindel überwältigte sie.
Ihre suchenden Finger hatten zersplitterte Knochen und zerfetztes Fleisch gefunden. Sie begriff jetzt, dass der warme, pulsierende Strom auf ihren Fingern in dem kalten Wasser ihr eigenes Blut war. Schmerz und Panik überfielen sie gleichzeitig. Sie riss ihren Kopf zurück und ihrer Kehle entfuhr ein schrecklicher Schrei. Der Fisch hatte abgedreht. Er schluckte das Bein der Frau, ohne zu kauen. Knochen und Fleisch passierten den riesigen Schlund in einer einzigen Zuckung. Jetzt kehrte der Fisch wieder um, fand sein Ziel in dem Blutstrom, der sich aus der Oberschenkelarterie der Frau ergoss, ein Signalfeuer, so klar und zuverlässig wie ein Leuchtturm in einer wolkenlosen Nacht. Diesmal attackierte er sie von unten. Er stieß mit aufgerissenem Maul unter der Frau empor. Der große kegelförmige Kopf traf sie wie eine Lok, stieß sie nach oben, über die Wasseroberfläche hinaus. Die Kiefer schlossen sich um ihren Oberkörper, zermalmten Knochen, Fleisch und Organe zu Brei. Der Fisch klatschte mit der Frau im Maul und mit donnerndem Getöse zurück ins Wasser, in einem bunten Strahl ergossen sich Schaum und Blut und die Lichter der Nacht.
Unter der Oberfläche schüttelte der Fisch den Kopf hin und her, seine dreieckigen gezackten Zähne sägten sich durch die paar Sehnen, die noch Widerstand boten. Die Leiche fiel auseinander. Der Fisch schluckte, wendete dann, um weiterzufressen. Sein Hirn zeigte immer noch die Signale der nahen Beute an. Das Wasser war mit Blut und Fleischfetzen durchsetzt, und der Fisch konnte Signal von Substanz nicht unterscheiden. Er schoss in der sich auflösenden Wolke von Blut vor und zurück, öffnete und schloss dabei sein Maul – aufs Geratewohl nach einem Bissen schnappend. Doch inzwischen hatten sich die meisten Teile der Leiche verstreut. Einige sanken langsam, landeten auf sandigem Grund, wo sie sich träge in der Strömung bewegten. Ein paar trieben unter der Oberfläche davon, glitten in der Wellenbewegung dahin, die in der Brandung endete.