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Buchreihen
212 Seiten, Broschur
Mit zahlreichen Abbildungen
€ 19.90
ISBN 978-3-902950-031
Als E-Book in allen einschlägigen Stores erhältlich.
22 Geschichten übers Radfahren, die Sie das Lachen und Fürchten lehren.
Mit praktischen Tipps und allem Drum und Dran, und Fotos! Jo, wir san mit’m Radl do!
Die Reihe „Schön trinken“ geht weiter! Im Frühling wird der Drahtesel geölt und aufgeputzt, und genau der steht hier im Mittelpunkt.
23 originelle Geschichten erzählen von
- kuriosen Erlebnissen mit dem Fahrrad
- Anekdoten aus der Kindheit
- Rauschgeschichten aus der Gegenwart
- Jubelgeschichten, geboren aus der puren Lust am Fahrradfahren
- Auch Praktisches kommt nicht zu kurz: Ein Fahrradkurier berichtet aus dem Berufsalltag, ein Fahrradnerd
schwärmt von seiner Fahrradsammlung, ein Leidgeprüfter trauert um 7 gestohlene Fahrräder ...
- Dazu noch Tricks zum Reifenwechseln, Reparaturvorschläge und Tipps für den Fahrradkauf
- Top-Ten-Listen mit den besten Fahrradfilmen, -büchern und -songs
Beiträge von: Stefan Abermann, Nadja Bucher, Nora Gomringer, Manfred Gram, Tex Rubinowitz, Magnus Klaue,
Martin Mandler, Dominika Meindl, Klaus Nüchtern, Andi Plammer, Christoph Simon u. v. m.
Letzte Ausfahrt Rotundenallee
Von Andi Plammer
Über die diversen Vor- und Nachteile von Shared Space und Begegnungszonen lässt es sich trefflich streiten. Trefflich bis endlos. Siehe die Diskussion über die Maria-hilfer Straße. Da wird die Begegnungszone zum Kriegsgebiet, so schnell kann man gar nicht schauen. Dabei ist von der Begegnung zwischen Straßenbahnschienen und Fahrradreifen wirklich entschieden abzuraten. Weil das für den Radfahrer eine ziemlich schmerzhafte Sache werden kann. Das musste vor etlichen Jahren auch meine damalige Freundin erfahren.
Vielleicht sollte ich aber doch lieber am Anfang beginnen. Schließlich startet auch die Tour de France mit der ersten Etappe. Wenn auch mit besseren Drogen.
Wenn ich verliebt bin, tue ich die seltsamsten Dinge. Dinge, die mir im Normalzustand bestimmt nicht in den Sinn kämen. Radfahren zum Beispiel.
Und in Sybille war ich bis über beide Ohren verliebt. Sybille war aber nicht nur eine ausgesprochene Schönheit. Sondern leider auch eine begeisterte Radlerin. Mein Pech.
Unsere Liebe begann im Frühling. Wie es sich für eine gescheite Liebe gehört. Ein halbes Jahr später stritten wir uns darüber, ob es Anfang März oder Anfang April gewesen war. Ein halbes Jahr später stritten wir uns ziemlich häufig. Ich war für Anfang April, Sybille für Anfang März. Wir trennten uns Ende Dezember. Da stand mein Rad immer noch vor ihrer Haustür, angekettet an einen Lichtmast.
Die meiste Zeit verbrachte ich nämlich bei Sybille. Besonders die Wochenenden. Weil Sybille praktisch im Grünen wohnte. Praternähe. Geradezu ideal zum Radfahren.
Deswegen bestand Sybille auch von Anfang an darauf, dass ich mir möglichst schnell ein Rad zulegte. Ich wehrte mich so gut ich konnte, ich wehrte mich vergeblich. Sybille überredete ihren Ex-Freund, mir sein uraltes Puch-Rennrad mit 3-Gang-Schaltung billig zu verkaufen, ein Rad, das höchstens noch vom Rost zusammengehalten wurde. Abholen musste ich es mir selber. Am anderen Ende der Stadt. In Favoriten. Aus der Per-Albin-Hansson-Siedlung.
Und so strampelte ich mit meiner Neuerwerbung beinahe zwei Stunden lang quer durch Wien, keuchend und verschwitzt und ständig in der Angst, in einen grässlichen Unfall verwickelt zu werden. Wider Erwarten ging alles gut. Ich hängte das Rad an den Lichtmast vor Sybilles Haustür und atmete erleichtert auf. Dabei hätte sich jeder Volksschüler ausrechnen können, dass das wahre Drama erst noch seinen Lauf nehmen würde. Und wirklich: Es passierte gleich auf unserer ersten gemeinsamen Ausfahrt.
Sybille besaß selbstverständlich ein irrwitzig teures Mountain-Bike mit Titanrahmen, dreißig Gängen, Scheibenbremsen und Heckfederung. Die meiste Zeit über sah ich von ihr und ihrem tollen Rad aber sowieso nur die Rücklichter. Zumindest hielt sie alle paar Kilometer an und wartete auf mich. Ihr Gesicht konnte ich dabei nicht erkennen, denn kaum tauchte ich in ihrem Blickfeld auf, schwang sie sich auch schon wieder in den Sattel, stieg in die Pedale und fuhr mir ein weiteres Mal auf und davon. Besonders freundlich hat sie aber bestimmt nicht dreingeschaut. Kein Wunder, die sündteuren Bremsen an ihrem Rad hätte sie sich genauso gut sparen können. Die allerbeste Bremse war nämlich immer noch ich. Ich und mein Schneckentempo.
Wir fuhren an diesem Nachmittag kreuz und quer durch den Prater. Über Stock und über Stein, durch Feld und Wald und Wiese, dass es mich durchgeschüttelt hat wie den berühmten Cocktail von James Bond. Sybille hat das leider nicht gerührt. Erst nach mindestens drei oder vier Stunden hatte sie endlich ein Einsehen und wartete an einer Kreuzung tatsächlich so lange, bis ich sie eingeholt hatte.
»Ich hab Hunger«, sagte sie.
»Ich auch«, log ich, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben.
Hauptsache, ich kann bald absteigen, dachte ich. Der Hunger wird schon noch kommen. Wenn sich meine Erschöpfung erst einmal gelegt hat. Wenn meine Knie nicht mehr zittern. Wenn ich wieder Luft kriege. Immer schön eines nach dem anderen. In der Bedürfnispyramide ganz unten anfangen.
Sybille dagegen war auf dem besten Weg, in dieser Pyramide die oberste Stufe zu erreichen: Selbstverwirklichung. Da hatte sie natürlich keine Zeit für lange Rückfragen, da hätte ich erst gar nicht lügen müssen. Meine Meinung zählte so oder so elf.
»Wir essen im Café im Kunsthaus«, bestimmte Sybille und gab damit erstens das Ziel aus. Und zweitens Vollgas.
Doch nahm mit diesen Worten nicht nur das Rad seinen Lauf. Sondern leider auch das Verhängnis. Die Rotundenallee, auf der Sybille in höchstem Tempo dahinflitzte, kreuzt nämlich am Ausgang des Praters die Schienen der Straßenbahn. Heute der Linie 1, damals des N-Wagens.
Während ich ihr noch mit letzter Kraft hinterherstrampelte und dabei intensiv darüber nachdachte, dass eine der beliebtes-ten Hinrichtungsmethoden des Mittelalters darin bestand, die Delinquenten aufs Rad zu flechten, hörte ich auch schon den Krach. Den Krach und das Bimmeln. Malerisch senkte sich der aufgewirbelte Staub langsam über die Szenerie.
Sybille hatte mit ihrem Rad in den Schienen eingefädelt und den Fahrer einer Garnitur der Linie N zu einer Notbremsung wie aus dem Lehrbuch gezwungen, sodass sich, als ich mit der üblichen Verspätung endlich an der Unfallstelle einlangte, für mich das folgende Bild ergab: Sybille lag, alle viere von sich gestreckt, auf dem Bauch und rührte sich erst einmal nicht mehr. Neben ihr strahlte und funkelte das vollkommen unversehrte, supertolle Mountain-Bike. Über ihr glotzten der Fahrer des N-Wagens und ein gutes Dutzend Passagiere aus der Straßenbahn auf sie herunter, und in ihren Gesichtern spiegelte sich die ganze Palette von Ärger über Besorgnis bis Schadenfreude.
Bevor ich mir angesichts dieser Ausdrucksvielfalt über meine eigenen Gefühle klar geworden war, hatte Sybille bereits mit ersten zaghaften Krabbelbewegungen begonnen. Sobald sie endlich aufrecht dasaß, betätigte der Straßenbahnfahrer noch einmal energisch seine Bimmel. Schließlich blockierten Sybille und ihr Rad immer noch die Schienen.
Sybille schleppte sich sofort brav und folgsam zur Seite, und ich schleppte ihr ihr fantastisches Mountain-Bike hintennach. Und während Sybille noch den ganzen Staub und Schmutz ausspuckte, den sie in den Mund bekommen hatte und sich den Dreck aus den Augen und der Nase wischte, brauste die Bim auch schon mit einem triumphierenden Bimmeln und kreischenden Rädern an uns vorüber, und die Passagiere starrten noch ein letztes Mal ausgiebig auf uns herunter. In den meisten Gesichtern hatte die Schadenfreude in der Zwischenzeit eindeutig die Oberhand gewonnen.
»Hast du dir wehgetan?«, fragte ich, ganz fürsorglicher Freund, doch Sybille beachtete mich nicht weiter.
»Scheiße«, presste sie zwischen schmutzverkrusteten Lippen hervor. »So kann ich doch nicht ins Kunsthaus-Café gehen.«
Da hatte sie aber wirklich vollkommen recht: Sybille war von Kopf bis Fuß mit einer dicken Schicht Straßenstaub bedeckt, ihre Hose und ihr T-Shirt an mehreren Stellen zerrissen, ihre Knie und Ellbogen aufgeschürft.
Die tiefsten Wunden aber hatte Sybille an ihrer Seele erlitten, und das ließ sie mich in den nächsten paar Stunden nur allzu deutlich merken. In ihren Augen lag nämlich eine Demütigung ersten Ranges darin, dass sie, die Supersportlerin in praktisch sämtlichen Disziplinen, vor mir, dem Antisportler, einen Stern vom Feinsten gerissen hatte. Sybille musste ihre Wunden an Leib und Seele auf der Stelle desinfizieren. Selbstverständlich half ich ihr dabei nach besten Kräften.
Also nix mit einem warmen Essen im Kunsthaus. Stattdessen kalte Getränke aus Sybilles Hausbar. Vorzugsweise irischer Whis-key. Weil: Je stärker der Alkohol, desto besser lassen sich die Wunden damit ausspülen.
»Das war doch nur ein Pech«, versuchte ich Sybille nach dem fünften oder sechsten Glas zu trösten.
Sybille aber schüttelte nur störrisch den Kopf und sagte kein Wort, und nach dem nächsten Whiskey schlief sie, gänzlich unversöhnt mit der Welt, auf der Couch ein, und so trank ich allein noch einen allerletzten Jameson und legte mich zu ihr und fühlte mich elend und zerschlagen. Weil sie sich elend und zerschlagen fühlte. Die Verliebtheit hatte wirklich einen kompletten Trottel aus mir gemacht.
Aller Verliebtheit und Solidarität zu Sybille zum Trotz hätte ich mich natürlich gleich viel besser gefühlt, wenn ich schon an jenem Abend gewusst hätte, was ich am nächsten Morgen erfuhr – auch wenn es noch eine Zeit dauern sollte, bis ich es glauben konnte; schließlich war es einfach zu schön, um wahr zu sein. Erst eine Woche später stand endgültig für mich fest, dass der kapitale Stern, den Sybille gerissen hatte, das Beste war, das mir überhaupt hätte passieren können.
Seit ihrem Unfall bestand Sybille nämlich kategorisch darauf, ihre Radtouren ausnahmslos ohne mich zu unternehmen. Seit ihrem Unfall rostete mein Rad unbenutzt vor ihrer Haustür vor sich hin, angekettet an einen Lichtmast. Und wenn es in der Zwischenzeit nicht in seine sämtlichen Bestandteile zerfallen ist, steht es vielleicht noch immer dort, auch wenn Sybille und ich schon vor einem Jahr auseinandergegangen sind. Ein mindestens dreißig Jahre altes Puch-Rennrad wird eben nicht einmal mehr gefladert.
Jubel und Rauschgeschichten über die Lust am Radeln.
Eva Tinsobin, Der Standard
Ungewöhliche Geschichten und Anekdoten rund ums Radfahren.
Drahtesel
Im österreichischen Milena Verlag ist eine reizvolle Geschichtensammlung erschienen (...).
...komische, manchmal philosophisch-tiefgründige, aber immer geistreiche Erkenntnisse, die Schmunzeln machen.
Trekkingbike 4-2014